Folge 1: Sag ich's? Behinderung im Job

Shownotes

In der ersten Folge des Podcasts sprechen Thomas Ketzmerick und Dr. Cathleen Rabe-Rosendahl vom Zentrum für Sozialforschung Halle mit der Psychologin Dr. Jana Bauer von der Universität zu Köln über die Frage, wie sich der passende Umgang mit der eigenen gesundheitlichen Beeinträchtigung am Arbeitsplatz finden lässt. Dr. Jana Bauer forscht an der Universität zu Köln unter anderem zur beruflichen Inklusion von Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen. Zusammen mit der Professorin Mathilde Niehaus hat sie das Projekt „Sag ich’s? - Chronisch krank im Job“ geleitet. Sie spricht darüber, was für und was gegen einen offenen Umgang mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung am Arbeitsplatz spricht und gibt Hinweise, wo individuelle Beratung und Hilfestellung in Anspruch genommen werden kann.

Weitere Informationen zum Projekt „Sag ich’s? Chronisch krank im Job“ auf der Website der Universität zu Köln sowie unter der Projektseite.

Mehr über unsere Interviewpartnerin Dr. Jana Bauer

Das Projekt ZIP - NaTAR

Diese Podcastfolge ist im Projekt „Zugänglichkeit – Inklusion – Partizipation. Nachhaltige Teilhabe an Arbeit durch Recht“ (ZIP – NaTAR) der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation e. V. (DVfR) und ihrer Kooperationspartner entstanden – gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln des Ausgleichsfonds.

Weitere Informationen über das Projekt ZIP – NaTAR

Weiterführende Links zum Thema

Rechte von schwerbehinderten Menschen im Arbeitsleben

Beratungsmöglichkeiten im Betrieb/der Dienststelle

Beratungsmöglichkeiten außerhalb des Betriebs/der Dienststelle

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Cathleen: Willkommen zu „Recht auf Teilhabe - der Podcast rund um Inklusion, Rehabilitation und Teilhabe“. An dieser Podcast-Serie sind die Universität Kassel, die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die Humboldt-Universität Berlin sowie das Zentrum für Sozialforschung Halle beteiligt. Wir freuen uns, Sie heute zur ersten Folge dieser Podcast-Serie zum Teilhabe-Recht begrüßen zu dürfen. Weitere Folgen werden in den nächsten Wochen und Monaten hier eingestellt werden. Mein Name ist Cathleen Rabe-Rosendahl und neben mir sitzt...

Thomas: ...Thomas Ketzmerick. Wir sind Wissenschaftler:innen am Zentrum für Sozialforschung Halle. Für die erste Folge haben wir uns die Psychologin Dr. Jana Bauer eingeladen. Sie forscht an der Universität zu Köln unter anderem zur beruflichen Inklusion von Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen. Zusammen mit der Professorin Mathilde Niehaus hat sie das Projekt „Sag ich’s? - Chronisch krank im Job“ geleitet. Hier wurde ein interaktiver webbasierter Selbsttest für Schwerbehinderte und/oder chronisch Erkrankte Arbeitnehmer:innen entwickelt.

Cathleen: Und über diese Problematik wollen wir heute mit Jana Bauer sprechen. Viele betroffene Beschäftigte stehen ja im Laufe ihres Berufslebens vor der schwierigen Frage: „Soll ich auf Arbeit über meine chronische Erkrankung sprechen oder über meine Beeinträchtigung?“

Cathleen: Grundsätzlich besteht keine Pflicht zur Offenlegung einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung. Warum es aber dennoch wichtig ist, für sich selbst eine Antwort auf diese Frage zu finden, darüber sprechen wir jetzt mit Jana. Jana, wie kann ich denn grundsätzlich solch eine Entscheidung treffen und warum denkst du, ist es wichtig, DASS ich eine solche Entscheidung für mich selbst treffe?

Jana: Erstmal vielen Dank, dass ich hier zu Gast sein darf im Podcast. Ich freue mich sehr! Also uns ist dieses Thema „Sag ich‘s oder sag ich‘s nicht“ – dieser Entscheidungskonflikt – schon in vielen anderen Projekten begegnet, wo es um unterschiedliche Themen, unterschiedliche Personengruppen ging, mit denen wir uns beschäftigen und da geht es immer im weitesten Sinne um Arbeit, Beschäftigung, Behinderung, Gesundheit und Krankheit. Und das ist so ein elementares Thema, so eine elementare Frage, die die Menschen umtreibt. Es geht im Grunde um diesen Konflikt zwischen Stigmatisierung und Zugriff auf Ressourcen, in dem sich die Personen befinden und das Problem ist, dass es für viele ganz schwer vorherzusehen ist, welche Konsequenzen wirklich eintreten, wenn sie auf der Arbeit über ihre Beeinträchtigung sprechen und anderen Leuten erzählen: „Ich habe eine chronische Erkrankung oder eine Behinderung“.

Und was wir sehen ist, dass viele dann erstmal aus Sorge davor, dass negative Konsequenzen eintreten könnten, nichts sagen oder auch weil sie denken: „Das ist ja was Privates, das gehört vielleicht nicht auf die Arbeit.“

Und was wir sehen ist, dass viele dann erstmal aus Sorge davor, dass negative Konsequenzen eintreten könnten, nichts sagen oder auch weil sie denken: Und aus der Entscheidungsforschung wissen wir, dass viele dann diesen Status Quo des Nichtssagens gar nicht als eigene Entscheidung ansehen, aber eigentlich ist das ja eine Entscheidung. Also es gibt ja die zwei Optionen etwas zu sagen oder etwas nicht zu sagen und im Grunde ist das dann die Entscheidung dafür, etwas nicht zu sagen und das kann die total richtige Entscheidung sein aber das Problem ist, dass viele sich oft nicht richtig Gedanken darüber machen, was sind auch die Konsequenzen des Nichtssagens, weil auch das Nichtssagen als Entscheidungsoption hat eigene positive und negative Konsequenzen.

Und was wir sehen ist, dass viele dann erstmal aus Sorge davor, dass negative Konsequenzen eintreten könnten, nichts sagen oder auch weil sie denken: Und deshalb denken wir, dass es sehr wichtig ist, dass man sich bewusst macht, dass das auch eine Entscheidung ist mit eigenen Konsequenzen und dass man sich möglichst diesen gesamten Entscheidungsraum sozusagen „sagen“ und „nichts sagen“ mit den jeweiligen positiven und negativen möglichen Konsequenzen bewusst macht und auf dieser Grundlage eine bewusste Entscheidung für das eine oder das andere trifft. Weil es ist ja so, dass Beeinträchtigungen, Behinderungen, chronische Erkrankungen nicht unbedingt statisch sind, die können sich verändern und dann kann es passieren wenn sich z.B. die gesundheitliche Situation rapide verschlechtert, dass man in eine Bedrängnissituation kommt, wo man gar nicht mehr die Möglichkeit hat, sich eben gut zu informieren und gut zu durchdenken und dann die Entscheidung eben unter Einbeziehung aller möglichen Optionen und Konsequenzen und so weiter zu treffen. Und das war das Ziel von unserem Projekt, eine Unterstützung für Personen zur Verfügung zu stellen, dass sie eben die verschiedenen Entscheidungsoptionen und Konsequenzen gut abwägen können und da zu einer für sich passenden Entscheidung kommen können.

Cathleen: Du hast ja gerade die Konsequenzen angesprochen, die das haben kann wenn ich meine Beeinträchtigung offenlege – positive und negative – und vielleicht können wir da kurz drüber sprechen. Welche Vorteile gibt es denn der Offenlegung einer Beeinträchtigung oder einer chronischen Erkrankung und welche möglichen Nachteile sind es?

Jana: Vorteile kann man auf verschiedenen Ebenen sehen. Das, was vielleicht am naheliegendsten ist und was vielleicht auch so einer der größten Motivatoren ist, warum Personen das sagen ist, dass man Unterstützung in Anspruch nehmen kann. Also wenn man jetzt zum Beispiel in einer Situation ist wo man merkt: „Ich kann eigentlich auf der Arbeit nicht mehr so gut arbeiten wie ich das vorher mal konnte“ oder „Wenn ich diese oder jene Unterstützung hätte, dann könnte ich besser arbeiten“, dann macht es natürlich Sinn, dass man einer Person, die einem diese Unterstützung geben kann, sagt: „Guck mal hier, ich habe diese und jene Beeinträchtigung und wenn ich das und das hätte, dann könnte ich besser arbeiten.“ Das ist etwas was, je nachdem welchen rechtlichen Status man hat, also wenn man z.B. einen Schwerbehinderten-Status hat, dann sind da nochmal auch ganz konkrete andere Rechte mit verbunden als wenn man diesen Status nicht hat. Dann geht es eben darum, dass man dann Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben hat, wo es dann auch finanzielle Förderungen von Rehabilitationsträgern für gibt.

Jana: Das kann aber auch viel niedrigschwelliger sein, also dass man mit seinen Vorgesetzten beispielsweise abspricht, dass man flexiblere Arbeitszeiten hat oder dass man einfach öfter Pausen machen kann oder solche Dinge. Also alles wo es darum geht, dass man Unterstützung, Verständnis vom sozialen Umfeld braucht. Da braucht man auch gar keinen besonderen Status für oder so sondern da geht es darum, dass man die anderen ins Boot holt irgendwie im Team oder in der Arbeitsumgebung. Ein weiteres Thema ist, dass natürlich dieses Geheimhalten der Beeinträchtigung auch eigene Stressoren mit sich bringen kann oder dass Menschen, denen eigentlich wichtig ist, dass sie authentisch sein können und sich so zeigen können, wie sie sind, dadurch gestresst sein können, dass eben auf der Arbeit andere das nicht wissen und manchmal erfordert das auch aktives Verbergen, weil eben bestimmte Symptome z.B. von einer chronischen Erkrankung sichtbar werden könnten und man muss dann Strategien finden, um die zu verbergen vor anderen , man muss Ausreden finden und so weiter und das kann natürlich etwas sein, was schwer auszuhalten ist – vor allem für Menschen, denen es eben sehr wichtig ist, authentisch zu sein und da ist natürlich ein Vorteil der Offenlegung auch, dass man dann diesen Aufwand nicht mehr betreiben muss und so eine Erleichterung spürt.

Jana: Und ein dritter Aspekt ist, dass natürlich das Verbergen oder das Nichtssagen auch dazu führt, dass das Vorurteil bestehen bleibt, es gäbe ja sonst niemanden oder es gäbe ja keine Menschen mit Beeinträchtigungen, Behinderungen, chronischen Erkrankungen in der Arbeitswelt. Also das ist was, was wir auch immer wieder sehen, dass wenn wir im Unternehmenskontext darüber sprechen, dass 30 bis 40% der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine chronische Erkrankung oder Behinderung haben, dann kriegen alle große Augen, weil das eben unsichtbar ist und indem man das offenlegt, sichtbar macht, nimmt eben auch die Sichtbarkeit dieser Thematik zu und die Relevanz und man trägt dazu bei, dass sich auch Unternehmenskulturen und die Wahrnehmung dieses gesamten Themas verändert. Also das können so verschiedene Facetten sein, die dafür sprechen können, in bestimmten Situationen eine Beeinträchtigung offenzulegen.

Cathleen: Bevor wir zu den negativen Aspekten vielleicht kommen, würde ich ganz gerne auch noch mal betonen – das hast du gerade angesprochen- dass es insbesondere für Menschen, die eine anerkannte Schwerbehinderung haben, besondere Rechte gibt. Du hast schon angesprochen, dass es die Möglichkeit der Anpassung des Arbeitsplatzes gibt, darauf besteht ein Anspruch mit so einem Status. Es gibt natürlich noch weitere Rechte wie z.B. einen erweiterten Kündigungsschutz, der sehr wichtig ist. Es gibt einen Anspruch auf einen Zusatzurlaub oder die Möglichkeit der Befreiung von Mehrarbeit, auch der frühere Eintritt ins Rentenalter ist für bestimmte Menschen hier möglich. Das sind nur einige der Vorteile, die an den Status Schwerbehinderung geknüpft sind aber das sind natürlich Sachen, die unbedingt in die Entscheidung mit einfließen sollen, insbesondere wenn es auf Arbeit durch die Beeinträchtigung Probleme/Konsequenzen gibt, vielleicht sogar eine Kündigung schon droht oder andere Maßnahmen drohen, dass hier definitiv eine Möglichkeit besteht, sich auch betriebliche Unterstützung zu holen, die vom Gesetzgeber auch so vorgesehen ist.

Thomas: Gibt es denn eigentlich aus deiner Sicht auch Vorteile, es nicht zu sagen?

Jana: Ja, also es gibt Vorteile es nicht zu sagen, die schon stark korrespondieren mit den Nachteilen der Offenlegung. Die größte Befürchtung, die Personen haben, die in diesem Entscheidungskonflikt stehen, ist, dass sie, nachdem sie es gesagt haben, anders behandelt werden, diskriminiert werden, anders angesehen werden oder auch, dass ihnen nicht geglaubt wird, was schon auch oft vorkommt wenn Personen einfach eine Beeinträchtigung haben, die nicht sichtbar ist; dass die Gegenüber nicht verstehen, welche Beeinträchtigungen da vorliegen, dass ihnen Sonderbehandlung vorgeworfen wird oder Bevorteilung von Kolleginnen und Kollegen und das sind einfach Dynamiken, die dann ja dazu führen, dass man einfach auf der Arbeit sich auch nicht mehr so wohlfühlt oder im schlimmsten Fall sogar auch nicht befördert wird oder gekündigt wird und das sind die größten Befürchtungen, die Personen haben, warum sie es nicht sagen und was dann dafür sprechen kann, es nicht zu sagen.

Jana: Für andere, denen wichtig ist, Arbeit und Privatleben zu trennen, könnte auch dafür sprechen, dass man sagt „Okay, das ist ein privates Thema und das gehört nicht auf die Arbeit und auf der Arbeit spreche ich deshalb nicht darüber“, also das sind so Vorteile der Nicht-Offenlegung, warum Personen sich dagegen entscheiden.

Thomas: Das sind natürlich wichtige Gründe und die kann man auch gut verstehen. Also einerseits individuelle Vorlieben oder Befürchtungen, dann Faktoren des Umfeldes: Kollegen, wie schätze ich die ein (und Kolleginnen), aber gibt's auch aus deiner Sicht Beispiele, dass in bestimmten Berufen es naheliegt, es eher zu sagen oder eher nicht zu sagen?

Jana: Das ist ein bisschen schwer zu verallgemeinern. Ich kenne auch jetzt keine Studien, wo bestimmte Berufsgruppen untersucht wurden. Es gibt natürlich hier auch wieder rechtliche Aspekte, also beispielsweise im öffentlichen Dienst muss man ja eingeladen werden, wenn man passt und einen Schwerbehinderten-Status angibt zum Beispiel. Also da gibt es bestimmte Regelungen im öffentlichen Dienst beispielsweise oder es gibt bestimmte Berufsgruppen, wo bestimmte Formen der Beeinträchtigung – das ist jetzt eine Ausnahme von dieser allgemeinen Regel "Man muss es nicht sagen" – eben dazu führen, dass man die Tätigkeit eigentlich nicht ausführen kann und dann muss man das eigentlich sagen, weil man eben sonst sich selbst oder andere gefährden würde zum Beispiel oder weil man die Tätigkeit nicht ausüben kann. Ansonsten kommt es eigentlich mehr auf spezifische Faktoren des spezifischen Unternehmens an, also: „Wie ist die Unternehmenskultur? Welche Ansprechpersonen gibt es hier? Wie ist die Führungskraft? Wie ist das Arbeitsumfeld?“ und das sind eigentlich die Faktoren, die auch darüber entscheiden, ob positive oder negative Konsequenzen eintreten wenn ich meine Beeinträchtigung offenlege. Es ist auch hilfreich, wenn es gute etablierte Ansprechpersonen gibt, wie z.B. eine Schwerbehindertenvertretung oder einen Personalrat oder Inklusionsbeauftragte; das können unterschiedliche Ansprechpersonen im Unternehmen sein, die einen unterstützen und auch beraten können und die auch je nachdem bei so einem Gespräch und nachfolgenden Prozessen der Anpassung des Arbeitsplatzes und so weiter dann dabei sein können.

Cathleen: Du hast einen sehr wichtigen Punkt gerade angebracht und zwar die Ansprechpersonen im Betrieb oder in der Dienststelle, die hier unterstützend tätig werden können; also insbesondere die Interessenvertretungen, der Betriebsrat, der Personalrat und natürlich die Schwerbehindertenvertretung, die hier unterstützend tätig werden kann, insbesondere zum Beispiel auch wenn es darum geht, einen Grad der Behinderung zu beantragen, also wenn eine chronisch erkrankte Person noch keinen Grad der Behinderung hat, ist hier die SBV – die Schwerbehindertenvertretung im Betrieb – die Ansprechpartner:in, die hier tatsächlich Unterstützung in dem ganzen Prozess bieten kann. Du hast auch angesprochen, völlig zu Recht, dass es zwar grundsätzlich keine Pflicht zur Offenlegung gibt aber dass es natürlich hiervon auch Ausnahmen gibt und zwar immer dann – das ist das, was du angesprochen hast – wenn z.B. schwerwiegende gesundheitliche Konsequenzen für den Beschäftigten selbst / die Beschäftigte selbst oder Dritte, d. h. Kolleg:innen/Kund:innen auftreten können, wenn ich als erkrankter Mensch diese Tätigkeit ausführe oder halt nicht richtig ausführen kann. Da besteht tatsächlich dann auch die Pflicht, mich dem Arbeitgeber zu offenbaren und meine Behinderung oder meine Beeinträchtigung/chronische Erkrankung offenzulegen. Was vielleicht an dem Punkt immer noch sehr wichtig ist: Wenn ich mich entscheide, meine Erkrankung oder meine Beeinträchtigung gegenüber meinem Arbeitgeber offenzulegen, heißt das ja nicht, dass ich ihm genau sagen muss, was denn jetzt eigentlich meine Diagnose ist. Insbesondere beim Schwerbehinderungsstatus geht es ja darum, den Status mitzuteilen und eventuell Problematiken aufzuzeigen, die es dann auf Arbeit geben kann, die z.B. durch eine Unterstützung, durch eine Assistenz, durch andere technische Hilfsmittel behoben werden kann etc.

Cathleen: Also es ist auch hier ganz wichtig, dass diese persönliche Entscheidung nicht heißt, dass ich jetzt alle Diagnosen, alle Beeinträchtigungen, die ich dadurch habe, offenlegen muss. Also es geht tatsächlich nicht so weit.

Thomas: Kurze Zwischenfrage: Sind auch Konstellationen vorstellbar, in denen man es nur dem Arbeitgeber sagt, aber die Kollegen das dann gar nicht mitkriegen? Sodass bestimmte Ängste sich gar nicht erfüllen, dass man diskriminiert wird oder wegen Bevorzugung geschnitten wird?

Jana: Ja, also das ist eine gute Frage, weil wir sprechen hier darüber „Sag ich’s oder sag ich’s nicht?“. Das klingt so Schwarz oder Weiß und natürlich ist das aber sehr sehr abgestuft, also „Was sage ich? Wem sag ich‘s? Wann sag ich’s?“ Es können sich ja auch die Dinge, die gesagt werden können, verändern, also dass man z.B. einen Schwerbehinderten-Status neu erwirbt; d.h. man steht eigentlich immer und immer wieder vor dieser Entscheidung und man kann durchaus beispielsweise in der Personalabteilung den Schwerbehinderten-Status bekannt machen, ohne dass jetzt im direkten Arbeitsumfeld die Führungskräfte oder die Kolleginnen und Kollegen davon wissen.

Thomas: An der Stelle sollten wir vielleicht auch nochmal sagen, wie lautet die Internetadresse des Angebotes und was passiert dort? Was kann man da machen, was kann man da lernen und sehen?

Jana: Ja, vielen Dank! Dazu sage ich natürlich sehr gerne was. Also wir hatten über mehrere Jahre das Glück, vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert zu werden im Rahmen dieses Projektes „Sag ich’s? - Chronisch krank im Job“ und dabei entstanden ist eben ein Web-Angebot, das Personen, die in diesem Entscheidungskonflikt stehen, unterstützen soll. Und unter www.sag-ichs.de findet man diese Webseite. Da gibt es einerseits ganz viel Informationen dazu, welche Vor- und Nachteile hat (Nicht-)Offenlegung, was sind rechtliche Rahmenbedingungen und so weiter und andererseits gibt es einen sogenannten Selbsttest, wo man – wenn man selber vor der Entscheidung steht „Soll ich auf der Arbeit jemandem von meiner Beeinträchtigung erzählen oder nicht?“ – eine Reihe an Fragen durchgehen kann, die man für sich beantwortet und dann bekommt man eine individuelle Auswertung dazu, was in der eigenen Situation dafür und was dagegen spricht, offen mit der eigenen Beeinträchtigung umzugehen. Und diese Auswertung ist dann nochmal verknüpft mit weiterführenden Informationen, Hinweisen und Arbeitsblättern auf unserer Webseite und auch mit dem Hinweis auf die anderen Ansprechpersonen, einerseits innerhalb des Unternehmens (die haben wir gerade schon angesprochen), aber es gibt ja– wenn man jetzt dem Unternehmen oder den Leuten da nicht so traut – auch Möglichkeiten außerhalb z.B. bei der Selbsthilfe, Integrationsfachdiensten oder ähnlichem Unterstützung und Beratung noch weiter zu dem Thema zu finden.

Thomas: Ich finde das sehr interessant und ich habe mir natürlich im Vorfeld die Seite schon mal kurz angeguckt und da hatte ich schon den Eindruck, dass die einerseits sehr gut gemacht ist, toll, aber dass es auch stärker in die Richtung geht: „Ich sollte es lieber sagen.“ Dass das der Normalfall ist und dass die Entscheidung, es nicht zu sagen eher die ist, die ihr nicht so empfehlt – habe ich das richtig wahrgenommen?

Jana: Nein, absolut nicht. Das ist überhaupt nicht das Ziel der Webseite oder des Projektes. Wir sind überzeugt, dass beide Entscheidungen individuell die passende Entscheidung sein können und es geht genau darum, Leute darin zu bestärken, sich alle notwendigen Informationen zusammen zu suchen um die Entscheidung zu treffen, die für sie am besten passt, für ihre persönliche Situation aber vor allem auch für die eigenen Werte und für das, was einem wirklich wichtig ist im Leben. Ich habe das an verschiedenen Stellen schon mal angedeutet: Menschen sind unterschiedliche Dinge wichtig, also manchen ist es wichtiger, dass andere gut von ihnen denken zum Beispiel. Für die ist es dann umso schlimmer, wenn sie negative Vibes empfangen, sage ich jetzt mal, von ihren Kolleg:innen und Vorgesetzten und anderen ist es sehr wichtig, z.B. Arbeit und Beruf getrennt zu halten. Je nachdem wie so diese Prioritäten sind, werden auch die Entscheidungen anders ausfallen oder ist es wichtig, dass man das einbezieht in die Entscheidung damit man langfristig damit glücklich ist, weil wir sind hier in einer Entscheidungssituation, die super komplex ist und wo es eigentlich nicht die eine richtige Entscheidung gibt. Also es wird sehr wahrscheinlich, egal wie man sich entscheidet, immer irgendeine Art auch von kleinen negativen Konsequenzen geben. Und es ist viel leichter und fühlt sich viel besser an, mit diesen negativen Konsequenzen umzugehen, wenn man einerseits weiß „Ich habe mir die Zeit genommen, dass zu durchdenken und ich habe die dann auch in Einklang mit dem was mir wichtig ist getroffen die Entscheidung.“ Also es war eine bewusste Entscheidung, die zu mir passt und dann fällt es mir auch leichter damit umzugehen, wenn nicht alles super rosig verläuft und letztendlich ist das das Ziel, dass Personen zufriedener mit ihrer Entscheidung sein können.

Thomas: Das ist natürlich interessant. Ihr seid ja Psycholog:innen, d. h. ihr fragt nicht nur objektive Fakten ab in diesem Selbsttest, sondern eben auch psychologische Gegebenheiten, Präferenzen - eigene oder vielleicht auch die der Kolleg:innen.

Jana: Ja, genau. Also wir haben dieses Web-Angebot entwickelt einerseits auf der Basis von Forschung zur Offenlegungsentscheidung, also was weiß man darüber eigentlich, wie Personen diese Entscheidung treffen und auch wann welche Art von Konsequenzen eintreten. Das ist so der eine Bereich von Forschung und Theorien, die wir einbezogen haben und andererseits aber auch Forschung zu Entscheidungstheorien oder wie treffen Menschen Entscheidungen, was für eine Art von Entscheidungssituation haben wir hier eigentlich und was bedeutet es, in diesem Zusammenhang eine gute Entscheidung zu treffen und das ist eben eine Entscheidungssituation, in der es keine objektiv richtige Entscheidung gibt. Also das ist auch ganz wichtig, das nochmal zu sagen, es ist wirklich relevant, da individuell zu entscheiden und das ist das, was der Selbsttest unterstützen soll, dass man für die eigene Situation noch mal einen Überblick bekommt, was spricht in meiner Situation dafür und was spricht dagegen. Und diese Auswertung ist immer noch relativ komplex. Deshalb empfehlen wir halt auch, dass man dann auch nochmal sich mit anderen berät darüber, wie man jetzt damit weiter umgehen sollte.

Cathleen: Okay, dann bedanken wir uns ganz herzlich, liebe Jana, für das Interview.

Thomas: Danke auch von meiner Seite.

Jana: Danke euch für das schöne Gespräch!

Alle: Tschüss!

Cathleen: Das war „Recht auf Teilhabe - der Podcast rund um Inklusion, Rehabilitation und Teilhabe“. Wir haben heute mit Jana Bauer gesprochen.

Thomas: Schauen Sie auch im Diskussionsforum „Reha- und Teilhaberecht“ unter www.reha-recht.de vorbei. Wir freuen uns, wenn Sie beim nächsten Mal wieder mithören.

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