Folge 10: Die UN-Behindertenrechtskonvention – Teil 1

Shownotes

In dieser Folge sprechen Michael Beyerlein und René Dittmann über die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Die Folge ist zugleich ein Rückblick auf die Projekttagung „Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland, Österreich und der Schweiz“. Ausschnitte der Vorträge von Andreas Müller, Felix, Welti, Barbara von Rütte, Leander Palleit, Christine Steger und Caroline Voithofer geben Einblick in den Rechtscharakter der UN-BRK, ihre Geltung in föderalen Mehrebenensystemen, die gerichtliche Rezeption der UN-BRK, das Staatenprüfungsverfahren und die Kritik der UN an der Umsetzung in den drei Ländern.

Das Projekt ZIP – NaTAR

Diese Podcastfolge ist im Projekt „Zugänglichkeit – Inklusion – Partizipation. Nachhaltige Teilhabe an Arbeit durch Recht“ (ZIP – NaTAR) der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation e. V. (DVfR) und ihrer Kooperationspartner entstanden – gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln des Ausgleichsfonds.

Weitere Informationen über das Projekt ZIP – NaTAR

Weiterführende Infos

Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2023): CRPD/C/DEU/CO/2-3. Abschließende Bemerkungen zum zweiten und dritten periodischen Bericht Deutschlands. Online verfügbar unter https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CRPD%2FC%2FDEU%2FCO%2F2-3&Lang=en, zuletzt geprüft am 30.07.2024. Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2023): CRPD/C/AUT/CO2-3. Abschließende Bemerkungen zum kombinierten zweiten und dritten periodischen Bericht Österreichs. Online verfügbar unter https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CRPD%2FC%2FAUT%2FCO%2F2-3&Lang=en, zuletzt geprüft am 30.07.2024.

Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2022): CRPD/C/CHE/CO/1. Abschließende Bemerkungen zum Erstbericht der Schweiz. Online verfügbar unter https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CRPD%2FC%2FCHE%2FCO%2F1&Lang=en, zuletzt geprüft am 30.07.2024.

Banafsche, Minou (2022): Behindertenrechtskonvention. In: Olaf Deinert, Felix Welti, Steffen Luik und Judith Brockmann: Stichwortkommentar Behindertenrecht. 3. Auflage. Baden-Baden, Marburg: Nomos; Lebenshilfe. Deutsches Institut für Menschenrechte (2024): Staatenprüfverfahren. Berlin. Online verfügbar unter https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/das-institut/abteilungen/monitoring-stelle-un-behindertenrechtskonvention/staatenpruefverfahren, zuletzt geprüft am 30.07.2024. Nebe, Katja; Welti, Felix (2024): Reformiertes Teilhaberecht – Barrieren oder Motor für ein lebendiges Recht. Plädoyer für rechtssoziologische Forschung zum Zugang zu Recht. In: Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht. Online verfügbar unter https://www.reha-recht.de/fileadmin/user_upload/RehaRecht/Diskussionsforen/Forum_D/2024/D5-2024_Reformiertes_Teilhaberecht.pdf.

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Michael Beyerlein: Herzlich willkommen zu Recht auf Teilhabe dem Podcast zu rechtlichen Themen rund um Inklusion, Rehabilitation und Teilhabe. Mein Name ist Michael Beyerlein und mir gegenüber steht

René Dittmann: Rene Dittmann. Hallo.

Michael Beyerlein: Wir sind Wissenschaftler an der Uni Kassel und dieser Podcast entsteht als gemeinsames Projekt von Deutscher Vereinigung für Rehabilitation Universität Kassel, der Humboldt Uni Berlin, der Martin-Luther-Universität Halle und dem Zentrum für Sozialforschung Halle. Wir beschäftigen uns mit rechtlichen Fragen rund um die Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung. In dieser und auch weiteren Folgen wollen wir uns mit der UN Behindertenrechtskonvention beschäftigen. Anlass dazu gibt uns eine Tagung, die wir im Rahmen unseres Kooperationsprojekts im Juni 2024 in Kassel veranstaltet haben. Wir haben uns dabei mit der Umsetzung der UNBRK in Deutschland, Österreich und der Schweiz beschäftigt. Viele der Vorträge, die bei der Tagung gehalten wurden, haben wir aufgenommen und wir nehmen sie und euch mit auf die Tagung, indem wir in den nächsten Folgen einige Ausschnitte davon einspielen.

René Dittmann: Vorab aber noch eine kurze Einführung Was ist die UN Behindertenrechtskonvention, abgekürzt UN-BRK und was genau regelt sie? Die UN-BRK wurde auf Beschluss der Vereinten Nationen ab 2002 erarbeitet und am 13. Dezember 2006 wurde sie dann von der UN-Generalversammlung zusammen mit einem FakultativProtokoll verabschiedet. Aktuell haben 164 Staaten, darunter auch Österreich und Deutschland, die Konvention unterzeichnet. 191 Staaten wie die Schweiz, aber auch die Europäische Union haben durch formale Bestätigung durch Beitritt oder Ratifizierung ihre Bindung an die Konvention zum Ausdruck gebracht. Wichtige Leitprinzipien der UN-BRK sind die Menschenwürde und die individuelle Autonomie von Menschen mit Behinderungen, Nichtdiskriminierung, Chancengleichheit und die Schaffung von Zugänglichkeit, zum Beispiel zur physischen Umwelt. Die UN-Behindertenrechtskonvention schafft dabei keine neuen Rechte für Menschen mit Behinderungen, sondern ergänzt und konkretisiert den bestehenden allgemeinen Menschenrechtsschutz, also die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und den UN Sozialpakt. Als Konkretisierung von vorhandenen Menschenrechtsabkommen enthält die UN-BRK sowohl bürgerliche und politische als auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Zu nennen sind hier unter anderem das Recht auf Leben, das Recht auf Freizügigkeit, das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit, das Recht auf Gesundheit, das Recht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht, das Recht auf Arbeit und günstige Arbeitsbedingungen oder das Recht auf Bildung.

Michael Beyerlein: Aber wie verbindlich ist so ein völkerrechtliches Abkommen? Und welche Stellung hat es in den nationalen Rechtsordnungen? In Deutschland ist die UN-BRK per Ratifikationsgesetz in die deutsche Rechtsordnung überführt worden, steht also im Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Gleichzeitig ist auch das gesamte deutsche Recht, dem sogenannten Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit folgend auszulegen. Zur Geltung der UN-BRK hören wir jetzt einen Ausschnitt aus dem Vortrag von Andreas Müller. Er ist Professor für Europarecht, Völkerrecht und Menschenrechte an der Uni Basel und hat auf der Tagung einen Vortrag über die Umsetzung der UN-BRK im Mehrebenensystem von föderalen Staaten und der EU gehalten.

Andreas Müller: Die UN-BRK ist ein sogenanntes gemischtes Abkommen, das heißt, sie hat als Vertragsparteien sowohl mittlerweile alle EU-Mitgliedsstaaten. Seit 2018 sind es tatsächlich alle, inklusive Irland und die Europäische Union selber. Für die Europäische Union ist das der erste menschenrechtliche Vertrag, dem die EU beitreten konnte. Und das hat sie auch ziemlich schnell genützt. Die EU ist wie die Schweiz Mitglied der Konvention selber, aber nicht des Fakultativ-Protokolls. Das sieht man schon. Das ist schon ein spezielles Element. Und das Interessante daran ist, dass in den EU Staaten die Konvention nicht nur als völkerrechtlicher Vertrag gilt. Davon war ja heute vor allem die Rede, sondern auch als EU-Recht, weil Verträge, völkerrechtliche Verträge, die die EU schließt, sind, so sagt es der EuGH in ständiger Rechtsprechung, integrierender Bestandteil des Unionsrechts und gelten als Unionsrecht in den Mitgliedstaaten, das heißt dnicht in der Schweiz, aber in Deutschland und Österreich gilt die Behindertenrechtskonvention doppelt, zweifach als völkerrechtlicher Vertrag und als EU-Recht, und ist deshalb auch ausgestattet mit den besonderen – ja, ich sage jetzt einmal – Privilegien oder Verstärkern, die das EU-Recht hat. Also das ist das Stichwort Vorrang des EU Rechts und Auslegungshoheit des EuGH. Für den EuGH ist die Behindertenrechtskonvention EU-Recht, das er anwendet, wenn es aus seiner Sicht in einem unionsrechtlich relevanten Fall zur Anwendung kommt.

Michael Beyerlein: Wir sehen also, Die UN-BRK gilt durch die Ratifikation der EU in Deutschland und Österreich sogar doppelt. Was gibt es noch zur UN-BRK zu sagen? An wen richtet sie sich? Innerhalb der Vertragsstaaten richtet sie sich an Legislative, Exekutive und Judikative. Das ergibt sich aus Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe A der Konvention, wonach die Vertragsstaaten alle geeigneten Gesetzgebungs, Verwaltungs und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte treffen. Daran erkennt man schon, dass an der Umsetzung der UN-BRK viele Akteure und staatliche Ebenen beteiligt sind. Wie das innerhalb des deutschen Föderalismus zwischen Bund und Ländern aufgeteilt ist, hören wir jetzt in einem Vortrag von Felix Welti von der Uni Kassel. Der hat sich in seinem Vortrag ebenfalls mit der Geltung der UN-BRK im Mehrebenensystem beschäftigt.

Felix Welti: Der deutschen Staatsrechtslehre folgend sind Völkerrecht, Bundesrecht, Landesrecht jeweils eigene Rechtsordnungen. Zwischen denen muss man dann Geltungs- und Anwendungsvorrang ermitteln. Die deutsche Staatspraxis macht daraus aber ein enges Wechselverhältnis, in dem jeder mit jedem zusammenarbeiten muss. Auch bei dem Abschluss völkerrechtlicher Verträge einschließlich Behindertenrechtskonvention müssen die Länder über den Bundesrat mitwirken. Dann ist die Konvention einfaches Bundesrecht. Das hat als solches Vorrang vor Landesrecht. Und die Länder sind im deutschen Verfassungsrecht durch den Grundsatz der Bundestreue verpflichtet, den Bund bei der Umsetzung völkerrechtlicher Verträge zu unterstützen. Das Bundesverfassungsgericht stellt konsequenterweise, die Ratio seines Bestehens ist das Grundgesetz, und dementsprechend ist das Bundesrecht im Mittelpunkt seines Weltbilds. Wenn das helfen soll für etwas wie die Behindertenrechtskonvention, dann muss dieses Bundesrecht als völkerrechtsfreundlich definiert werden. Das macht das Bundesverfassungsgericht auch. Und wenn es dann sagt, auch das Grundgesetz muss völkerrechtsfreundlich ausgelegt werden, dann ist das etwas, was der Durchsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention helfen kann.

Michael Beyerlein: Wir sehen, insbesondere der Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des einfachen Rechts kann ein wichtiger Hebel zur Umsetzung der Rechte aus der UN-BRK sein. Aber machen das die Gerichte auch? Wie sind die Rechte aus der UN-BRK gerichtlich durchsetzbar? Für das deutsche Bundesverfassungsgericht stellt die UN-Behindertenrechtskonvention zwar eine Auslegungshilfe bezüglich des Inhalts und der Reichweite von Grundrechten dar, aber keinen eigenständigen Prüfungsmaßstab, wie das Bundesverfassungsgericht beispielsweise in einem Beschluss vom Februar 2018 schreibt. In vielen Gerichtsentscheidungen, insbesondere in der Sozialgerichtsbarkeit, wird die UN-BRK als Begründungselement herangezogen. Trägt eine Entscheidung in der Regel aber nicht unmittelbar. In der Schweiz ist die Situation ganz ähnlich. Das schildert uns jetzt Barbara von Rütte. Sie ist Forscherin am Europainstitut der Universität Basel und hat auf der Tagung einen Vortrag zur Umsetzung der UN-BRK in der Schweiz gehalten.

Barbara von Rütte: Und zwar habe ich hier zum einen ein Verwaltungsgerichts-Urteil des Kantons St. Gallen, also das höchste kantonale Gericht, mitgebracht, ein Kanton, das Anfang 2023 immer noch geurteilt hat, dass die BRK keine klagbaren Individualrechte verankere. Und im November 2023 hat dann auch das Bundesgericht, also das höchste Schweizer Gericht, festgehalten, dass die UN-Behindertenrechtskonvention zwar integraler Bestandteil des schweizerischen Rechts geworden sei und Mindeststandards festlege. Sie enthalte aber in erster Linie programmatische Bestimmungen und sei Auslegungshilfe. Die UN-Behindertenrechtskonvention schafft mithin kein Sonderrecht für Menschen mit Behinderungen, weshalb auch dahinstehen kann, ob die psychische Erkrankung des Beschwerdeführers unter den Schutzbereich des Artikel 1 BRK fällt, also die Gerichte einschließlich des höchsten schweizerischen Gerichts übernehmen die Argumentation des Bundesrates und gehen mal davon aus, dass die BRK Auslegungshilfe ist und nicht unbedingt Individualrechte verankert. Dabei hätte das Bundesgericht die Sache eigentlich auch schon mal anders gesehen. Ein Leitentscheid aus dem Jahr 2018 hat die ganze Sache ein bisschen differenzierter dargestellt. Ich erspare Ihnen die französische Originalversion des Urteils. In diesem Urteil BGE 145 I 142 hat das Gericht in Bezug auf das Recht auf Bildung festgehalten, dass im Artikel 24 der Konvention direkt anwendbar ist und der Staat Bildungsangebote diskriminierungsfrei zugänglich machen muss. Die Beispiele aus der Rechtsprechung zeigen, dass die Tragweite der Rechte aus der BRK noch nicht alle klar und noch nicht allen staatlichen Akteuren und Institutionen offenbar klar sind, nicht einmal den Richterinnen in Lausanne am höchsten Gericht. Das zeigt natürlich auch den weiteren Bedarf an Sensibilisierung und Information, auf den auch der Ausschuss in den Concluding Observations angemahnt hat.

Michael Beyerlein: Wir sehen also, Die Situation in Deutschland und der Schweiz ist ganz ähnlich. Die UN-BRK ist geltendes Recht, wird aber von der Rechtsprechung eher als Auslegungshilfe herangezogen, aus der sich unmittelbar keine einklagbaren Rechte ergeben. Das lenkt den Blick darauf, wie sie von der Gesetzgebung und der Rechtspraxis in den Ländern mit Leben gefüllt wird. Aber vorher noch – Wie wird das überhaupt überprüft, wie die UN-BRK umgesetzt wird?

René Dittmann: Zur UN-Behindertenrechtskonvention gehört auch ein Fakultativ-Protokoll. Darin ist geregelt, dass bei den Vereinten Nationen ein Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen eingesetzt wird. Dieser Ausschuss ist zwischen 12 und 18 Personen groß und mit anerkannten Expertinnen und Experten auf dem Gebiet besetzt. Eine wichtige Aufgabe dieses Ausschusses ist die Prüfung der Umsetzung der UN-BRK in den Vertragsstaaten. Dieses Verfahren ist in den Artikeln 35 und 36 der UN-BRK geregelt und darin steht, dass jeder Vertragsstaat dem UN-Ausschuss innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Übereinkommens in dem Vertragsstaat einen umfassenden Bericht über die Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der UN-BRK und über die dabei erzielten Fortschritte vorlegt. Danach legen die Vertragsstaaten mindestens alle vier Jahre und nach Aufforderung des Ausschusses Folgeberichte vor. Der Ausschuss prüft dann jeden Bericht und kann ihnen mit den ihm geeignet erscheinenden Vorschlägen und allgemeinen Empfehlungen versehen und leitet diese den betreffenden Vertragsstaat zu. Diese vom Ausschuss übersandten Conkluding Observations auf Deutsch Abschließende Bemerkungen‘ haben wir auf der Tagung aufgearbeitet. Um Ablauf und Bedeutung dieses Prüfverfahrens besser zu verstehen, hören wir jetzt eine Erläuterung von Leander Palleit. Er ist Leiter der deutschen Monitoringstelle zur UN-Behindertenrechtskonvention, die beim Deutschen Institut für Menschenrechte angesiedelt ist.

Leander Palleit: So zu meinem ersten Punkt. Was ist eigentlich der Sinn vom Ganzen? In der UN-Behindertenrechtskonvention selbst ist dieses Verfahren vorgesehen als Überprüfungsmechanismus,den man ja braucht, wenn man so eine Menschenrechtskonvention unterschreibt. Weil die Vereinten Nationen müssen ja irgendwie auch mal oder sollten zumindest auch mal schauen,machen die Staaten eigentlich das, was sie da unterschrieben haben oder machen sie das nicht so? Die können nun nicht ständig sozialwissenschaftliche Forschung betreiben, weltweit. Die sind darauf angewiesen, dass ihnen berichtet wird. Was machen die Staaten? Und das System ist bei allen Menschenrechtskonventionen so, dass es einen Fachausschuss gibt. Der sitzt in Genf, der ist mit internationalen Experten besetzt. Auf den Ausschluss will ich gar nicht so viel eingehen, sondern eher auf das Verfahren, was da passiert vor dem Ausschuss. Und dieser Ausschuss bekommt sogenannte Staatenberichte. Deswegen heißt das Berichtsprüfungsverfahren Staatenberichtsverfahren. Die Begriffe sind synonym. Und es geht darum, dass regelmäßig an dieses internationale Gremium von Fachleuten berichtet wird. Von jedem Staat turnusmäßig. Was ist auf unserem Boden passiert? Was haben wir unternommen, um die Konvention umzusetzen? Und weil es sozusagen auf diesem, auf diesen Staatenberichten beruht, sind die Berichte selbst das Herzstück des ganzen Verfahrens. Alles Drumherum, alles andere ist sozusagen um diese Staatenberichte herum. Und es gibt da aber auch noch eine mündliche Verhandlung. Das Ganze ist nicht nur im Schriftwege, sondern passiert dann auch noch bei einem sogenannten konstruktiven Dialog. Kommt dann gleich auf der nächsten Folie, wie das Ganze abzulaufen hat. Rein formal, das steht in der Konvention selbst drin. Das steht in allen diesen Menschenrechtskonventionen drin, wie dieses Berichtsprüfungsverfahren laufen soll in der UN-Behindertenkonvention, es steht hier drauf, sind die Artikel 35, 36, da kann man es dann, wenn man möchte, noch mal nachlesen. Sinn wie gesagt, ist für alle Staaten letzten Endes aus UN-Perspektive eine Standortbestimmung zu haben. Wie steht es um die Umsetzung weltweit? Ja und jeden Staat einzeln zu begutachten. Was läuft gut, was läuft schlecht? Was hat sich seit dem letzten Mal verändert? Wie gesagt, das ist so ein turnusmäßiges Prinzip. Und wo besteht aus Sicht der Vereinten Nationen Handlungsbedarf in diesem konkreten Stadium, in diesem konkreten Staat? Und wo sollten Empfehlungen ausgesprochen werden?

René Dittmann: Wir sehen also, das Verfahren ist komplex und es sind viele verschiedene Akteure beteiligt, die aus ihrer jeweils eigenen Perspektive entweder ein rosiges oder auch ein düsteres Bild von der Umsetzung der UN-BRK zeichnen oder aber versuchen, die Zwischentöne einzufangen. Sehr anschaulich hat das in ihrem Vortrag die Behindertenanwältin von Österreich, Christine Steger, beschrieben.

Christine Steger: Ein Thema, das vielleicht auch eine große Rolle spielt bei dieser Staatenprüfung war natürlich, wie das offizielle Österreich sich hier präsentiert. Und vielleicht ein kleiner persönlicher Sidestep. Also, es war nicht nur sehr aufregend in Genf, es war auch emotional sehr herausfordernd, weil es natürlich schon ein bisschen so war, wie auch Markus Schäfer beschreibt. Also, der Spagat zwischen rosig und düster. Also, das offizielle Österreich, das natürlich versucht, auch bestmöglich die Arbeit, die geschieht, darzustellen. Und natürlich auch die Zivilgesellschaft und Monitoringausschuss und Volksanwaltschaft, wo klar ist, okay, aber in den Niederungen kommen diese ganzen Absichtserklärungen nicht so an, wie es eigentlich auch die Konvention vorsieht und wozu sich Österreich eigentlich auch schon seit vielen Jahren verpflichtet hat. Und ich glaube, das ist auch, also deutlich wird es vielleicht an einem Beispiel. Es wurde schon erwähnt, ein Vertreter eines Bundeslandes hat für alle Bundesländer gesprochen und in einer der Concluding Observations recht zu Beginn können Sie lesen, also an Deutlichkeit nicht zu übertreffen, wo der Fachausschuss festgestellt hat, dass seiner Auffassung nach die Länder nicht vollumfänglich verstanden haben, was die Konvention eigentlich bedeutet. Und das kann ich anhand eines Beispiels hier auch untermauern. Der Vertreter der Länder hat die BRK als Richtschnur bezeichnet für alles, was die Länder im Bereich der Behindertenhilfe machen. Also einerseits ist es so, dass Behinderung als Querschnittsmaterie nicht nur in der sogenannten Behindertenhilfe stattfindet, sondern überall stattfindet. Und das Beispiel, das er gebracht hat, betrifft eine Verordnung über Heime und Institutionen. Und er hat gesagt, die Richtschnur ist die Konvention. Und das zeigt sich auch daran, dass wir jetzt bei der neuen Heimverordnung die BRK mit aufgenommen haben. Ja, und ich glaube, das zeigt eigentlich auch ein wenig die Deutlichkeit, worum es auch hier, worum es auch hier geht.

René Dittmann: Man sieht also, dass sich die Wahrnehmung davon, was die UN-BRK fordert und wie gut sie umgesetzt ist, innerhalb eines Vertragsstaats sehr unterscheiden kann.

Michael Beyerlein: Das bringt uns zu der Kritik des Fachausschusses selbst. Wie hat er die Staatenberichte von Deutschland, Österreich und der Schweiz bewertet? In allen Concluding Observations hat der Ausschuss zunächst die Umsetzung von allgemeinen Grundsätzen und Pflichten aus der UN-BRK bewertet. Diese ergeben sich aus den Artikeln 1 bis 4. Das umfasst insbesondere Fragen von Diskriminierung und Inklusion, Chancengleichheit und Barrierefreiheit und deren gesetzliche Umsetzung. In den Concluding Observations für Deutschland wird beispielsweise kritisiert, dass in vielen Rechtsbereichen auf Bundes- und Länderebene noch ein medizinisches Behinderungsmodell angewendet wird. Das hat das Deutsche Institut für Menschenrechte zum Beispiel bei Regelungen zu pandemiebedingten Impf-Priorisierungen und im Gesundheitswesen festgestellt, wo Menschen mit intellektuellen und psychosozialen Beeinträchtigungen, aber auch gehörlose Menschen durch Kommunikationsbarrieren und mangelndes Bewusstsein der Fachkräfte Gefahr laufen können, diskriminiert zu werden. Das illustriert auch Felix Welti in seinem Vortrag am Beispiel des Behinderungsbegriffs, der Versorgungsmedizinverordnung und der Eingliederungshilfe. Und da hören wir jetzt mal rein.

Felix Welti: Beispiel zum Thema Behinderungsbegriff. Wir haben in Deutschland in der Gesetzgebung einen Behinderungsbegriff bekommen, der sehr nah an denen der UN-BRK angelehnt ist, inzwischen bundesrechtlich und landesrechtlich in den Behindertengleichstellungs gesetzen festgeschrieben. Für die Praxis sind aber andere Dinge wichtig, zum Beispiel, wer wird warum mit welchem Grad als schwerbehindert anerkannt. Das gibt es auch in anderen Ländern. Und wer entscheidet über diese Kriterien, die hergebrachter Weise überhaupt nicht ICF- oder UN-BRK orientiert sind, sondern alleine an der Gesundheitsstörung ansetzen. Knochentaxe und die Knochentaxe im Einzelnen. Ein großes Regelwerk wurde aufgestellt von einem nichtöffentlichen Beirat, dem die Versorgungsmediziner der Landesbehörden angehörten, der aber dem Bundesministerium zugearbeitet hat und der lange Zeit in keinem Gesetz auch nur erwähnt war. Dann hat das Bundessozialgericht irgendwann gesagt, das finden sie merkwürdig, es gäbe auch einen Gesetzesvorrang. Und inzwischen, ich kürze die Geschichte etwas ab, haben wir ein Gesetz, das festlegt, es gibt diesen Beirat weiterhin, da sind auch immer noch die Versorgungsmediziner der Länder, aber außerdem sind auch noch andere Wissenschaftler drin. Und die Behindertenverbände dürfen auch ein Drittel der Mitglieder vorschlagen. Ich denke, ein Fortschritt in Richtung Operationalisierung. Was dabei rauskommt, möge die Wissenschaft demnächst überprüfen. Anderes Beispiel, wo es darum geht, was machen wir praktisch aus dem Behinderungsbegriff, ist die Reform der Eingliederungshilfe. Hier operiert das deutsche Recht mit dem Begriff der wesentlichen Behinderung. Nur wer wesentlich, nicht schwerbehindert - das andere System, wesentlich behindert, nur wer wesentlich behindert ist, kriegt die Leistungen der Eingliederungshilfe. Wer entscheidet das? Es gibt eine kleine Bundesverordnung, dazu fünf Paragraphen, die seit vielen Jahren nicht geändert wurden. Und dann gibt es sehr umfangreiche Auslegungshilfen. Die kommen von der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, ein in keinem Gesetz vorgesehenes Gremium, das aber relativ viel Macht hat, Auslegungshilfen zu schreiben, die bei den Behörden auch bekannt sind. Und dann hat man versucht, ein neues System zu schaffen, das aber etwas spargesetzlich erschien. Und dass ist dann in letzter Minute gestoppt worden zugunsten eines groß angelegten wissenschaftlichen Evaluationsprojekts, das erstmalig nach 40 Jahren ausgewertet hat, nach welchen Kriterien die kommunalen und Landesbehörden wirklich vorgehen. Und auf dieser Basis versucht man nun, neue Kriterien für die wesentliche Behinderung bundesrechtlich festzulegen. Da gibt es gerade einen Verordnungsentwurf, den wir auch diskutieren, auf einer der nächsten Veranstaltungen des Projekts. Und am Schluss zurück zu dem kooperativen Föderalismus. Hier kommt es darauf an, eine Lösung zu finden, mit der Länder, Kommunen, Bund und Behindertenverbände einigermaßen zufrieden sind.

Michael Beyerlein: Aber auch in Österreich zeigt sich, dass der moderne Behinderungsbegriff der UN-BRK noch nicht überall in der Praxis angekommen ist. Das betont Caroline Voithofer vom Institut für Theorie und Zukunft des Rechts an der Uni Innsbruck in ihrem Vortrag. In den wir jetzt mal reinhören.

Caroline Voithofer: Also das kritisiert auch der Ausschuss ganz stark diese Zersplitterung, wo auch sogar die Baseline, nämlich das Verständnis von Behinderung aus menschenrechtlicher Perspektive oder von mir aus auch niederschwelliger nur als soziales Modell, dass man eigentlich, wenn man sich mit der Konvention beschäftigt, als tatsächlich allgemein geteiltes Vorverständnis voraussetzen könnte, ist zum Teil in die Landesgesetze nicht realisiert. Also da kommt dann noch ein medizinisches Modell wieder rein.

Michael Beyerlein: Ganz ähnliche Probleme gibt es auch in der Schweiz, wie wir gesehen haben. Dazu hören wir jetzt noch mal Barbara von Rütte.

Barbara von Rütte: Wenn wir nun die allgemeinen Grundsätze und Verpflichtungen anschauen und die Concluding Observations in dem Bereich, dann sticht zunächst hervor, dass der Ausschuss kritisiert, dass die Gesetzgebung und der politische Rahmen nur mangelhaft in Übereinstimmung gebracht wurden mit dem Übereinkommen. Und ich denke, das ist ein wichtiger Punkt. Dass das menschenrechtliche Modell von Behinderung aus der BRK nur ungenügend anerkannt ist. Kritisieren Sie weiter auch, dass die Schweizer Politik und Gesetzgebung immer noch abwertende Begriffe gebraucht wie Invalidität, invalide, Hilflosigkeit und Ähnliches. Generell würde eine Gesamtstrategie zur Umsetzung des Übereinkommens fehlen. Es gebe eine ungenügende Einbindung von Menschen mit Behinderungen in Entscheidungsprozesse. Also der Artikel 4 Absatz 3, von dem wir jetzt auch schon wiederholt gehört haben, der ist ungenügend umgesetzt. Mangel an finanziellen und anderen Ressourcen ist auch in der Schweiz ein Problem und die Zugänglichkeit von Informationen über die BRK wird ebenfalls gerügt.

Michael Beyerlein: Es zeigt sich also auch hier der Föderalismus als Herausforderung für eine einheitliche Umsetzung der UN-BRK. An der Umsetzung in Deutschland kritisiert der Ausschuss weiter die fehlende systematische Überprüfung des deutschen Rechts auf seine Vereinbarkeit mit der UN-BRK. Der Ausschuss bemängelt zudem, dass es kein allgemeines Klagerecht von Verbänden zur Durchsetzung der Konventionsrechte gibt. Dazu schreibt das Deutsche Institut für Menschenrechte. Die große Durchsetzungsschwäche des Antidiskriminierungsrechts könnte insbesondere durch ein umfassendes und effektives Verbandsklagerecht mit bundesweit gleichen Standards verbessert werden. Der Ausschuss kritisiert auch das Fehlen von institutionalisierten Verfahren für eine enge Konsultation und aktive Beteiligung von Organisationen von Menschen mit Behinderungen. Auch die unzureichenden Ressourcen und administrativen Hürden für diese Organisationen werden beanstandet. Nimmt man diese Kritik mit der an den anderen beiden Ländern zusammen, wird an den allgemeinen Pflichten aus der UN-BRK insbesondere folgendes kritisiert. Einmal eine mangelnde Harmonisierung der Gesetzgebung und des politischen Rahmens mit der UN-Behindertenrechtskonvention. Insbesondere, und das haben wir gehört in Bezug auf das Menschenrechtsmodell von Behinderung, in allen drei Staaten wird das Fehlen einer umfassenden Gesamtstrategie und koordinierter Maßnahmen zur Umsetzung der Konvention auf allen Regierungsebenen kritisiert. Und auch die mangelnde Beteiligung und Einbindung von Organisationen von Menschen mit Behinderungen an Entscheidungsprozessen wird in allen drei Concluding Observations stark kritisiert. Das geht einher mit unzureichenden finanziellen und sonstigen Ressourcen für Behindertenorganisationen, um ihre Rolle bei der Umsetzung der Konvention wahrzunehmen.

René Dittmann: Was können wir zum Ende dieses Podcasts festhalten? Die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein völkerrechtliches Abkommen, das allgemeine Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen konkretisiert. Es gilt, in fast 200 Staaten weltweit und in denen der Europäischen Union sogar doppelt, wie wir gelernt haben. In den Staaten, die wir betrachtet haben, wird die UN-Behindertenrechtskonvention als Auslegungshilfe für einfaches nationales Recht und auch für Verfassungsrecht herangezogen. Sie könnte in der Rechtsprechung aber noch präsenter sein. An der praktischen Umsetzung der UN-BRK sind viele verschiedene Akteure beteiligt. Einige von ihnen berichten den Vereinten Nationen im Rahmen von Staatenprüfungen regelmäßig aus ihrer Perspektive über den Umsetzungsstand.

Michael Beyerlein: Der Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen bei den Vereinten Nationen wertet diese Berichte aus und macht den Vertragsstaaten in Concluding Observations Empfehlungen, wie sie ihre Verpflichtungen aus der UN-BRK besser umsetzen können. Deutschland, Österreich und der Schweiz empfiehlt der Ausschuss unter anderem, das menschenrechtliche Modell von Behinderungen stärker in ihren Rechtsordnungen zu verankern, eine Gesamtstrategie zur Umsetzung der UN-BRK zu erarbeiten und Organisationen von Menschen mit Behinderungen stärker zu beteiligen. Wir verabschieden uns damit und sagen Tschüss, bis zum nächsten Mal bei Recht auf Teilhabe.

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