Folge 12: Digitale Barrierefreiheit
Shownotes
In dieser Folge geht es um digitale Barrierefreiheit – was sie bedeutet, wie sie umgesetzt wird und welche Chancen, aber auch Herausforderungen sie für eine inklusive Gesellschaft bietet. Dipl.-Soz.Thomas Ketzmerick, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Sozialforschung Halle e.V. (ZSH) und Prof. Dr. iur. Dörte Busch, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und Mitglied des ZSH, sprechen mit Michael Wahl, Leiter der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (BFIT-Bund).
Vorstellung des Gasts
Michael Wahl ist Leiter der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (BFIT-Bund). Die BFIT überwacht die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben zur digitalen Barrierefreiheit bei Bundesbehörden und veröffentlicht regelmäßige Berichte und Leitlinien.
Aufgaben der BFIT
- Monitoring: Testen von Webseiten und Apps der Bundesverwaltung
- Berichtslegung: Beiträge zum EU-Monitoring-Bericht gemeinsam mit den Ländern
- Beratung: Unterstützung öffentlicher Stellen bei der Umsetzung barrierefreier IT
- Ausschuss für digitale Barrierefreiheit: Austausch mit Akteur*innen aus Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft Mehr Infos: www.bfit-bund.de
Was ist digitale Barrierefreiheit eigentlich?
Digitale Barrierefreiheit bedeutet, dass alle Menschen, unabhängig von Einschränkungen, digitale Angebote gleichberechtigt nutzen können. Anhand der vier Prinzipien der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) erklärt Michael Wahl:
- Wahrnehmbarkeit: z. B. durch Screenreader, Untertitel, Gebärdensprache
- Bedienbarkeit: barrierefreie Steuerung z. B. per Sprache oder Taster
- Verständlichkeit: einfache Sprache, keine Zeitlimits, logische Struktur
- Robustheit: Darstellung auf allen Endgeräten, z. B. responsives Design Handreichungen zur digitalen Barrierefreiheit: Übersicht - Handreichungen zur BITV 2.0
Digitale Teilhabe: Chance oder neue Barriere?
Digitale Technologien bieten enorme Potenziale für Teilhabe – z. B. durch Mobilitäts-Apps oder Online-Services. Aber: „Wenn sie nicht barrierefrei sind, sind sie eben keine Hilfe.“ Vieles ist noch rudimentär umgesetzt, gerade in der Privatwirtschaft. Wichtig sind:
- Verbindliche Standards
- Klares Bewusstsein für Zielgruppen
- Frühe Einbindung von Betroffenen
Wer ist in der Verantwortung?
Barrierefreiheit ist gesetzlich vorgeschrieben, z. B. durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Alle Beteiligten sollten aktiv werden:
- Öffentliche Stellen: Erklärung zur Barrierefreiheit und Feedback-Mechanismus bereitstellen
- Bürger*innen: Barrieren melden und Rückmeldung geben
- Unternehmen: Nutzerfreundlichkeit und Inklusion nicht als „Mehraufwand“, sondern als Chancen sehen
Wer profitiert von Barrierefreiheit?
Nicht nur Menschen mit Behinderungen!
- Ältere Menschen (z. B. bei eingeschränkter Sehkraft)
- Menschen mit Sprachbarrieren
- Alle, die gute Usability schätzen (z. B. Kontraste, klare Strukturen)
Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI)
KI kann bei Barrierefreiheit unterstützen, z. B.:
- Automatische Übersetzungen in leichte Sprache
- Gebärdensprach-Avatare für Verwaltungsdokumente
- Personalisierung und Skalierung von Angeboten Aber: Menschliche Kontrolle bleibt unverzichtbar Eine fachliche Einordnung dazu, welche Herausforderungen bestehen und welche Rolle menschliche Expertise weiterhin spielt können Sie hier nachlesen.
🔗 Weiterführende Links
- BFIT-Bund – Bundesüberwachungsstelle für Barrierefreiheit
- Diskussionsforum Reha-Recht.de
- Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BMAS)
- Web Content Accessibility Guidelines (W3C)
- ein Praxisbarrierefreiheits tool – die HeadingsMap - ADG
Kontakt & Feedback Feedback zur Folge oder zu digitalen Barrieren? Einfach per E-Mail oder über das Kontaktformular der jeweiligen Behörde. Mehr Infos unter www.bfit-bund.de.
Abonnieren Sie den Podcast „Recht auf Teilhabe“ für weitere spannende Themen rund um Inklusion, Rehabilitation und Teilhabe! Diese Podcastfolge ist im Projekt „Mit Vielfalt zum inklusiven Arbeitsmarkt – Aufgaben für das Reha- und Teilhaberecht" (VinkA) der DVfR und ihrer Kooperationspartner entstanden – gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln des Ausgleichsfonds. Mehr Folgen und Informationen: www.reha-recht.de – Diskussionsforum Reha und Teilhaberecht
Kontakt: Zentrum für Sozialforschung Halle e.V. an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Großer Berlin 14, 06108 Halle (Saale), info@zsh.uni-halle.de, Telefon: 0345/9639600
Transkript anzeigen
Cathleen Rabe-Rosendahl: Willkommen zu Recht auf Teilhabe, der Podcast rund um Inklusion, Rehabilitation und Teilhabe.
Thomas Ketzmerick: Ich bin Thomas Ketzmerick vom Zentrum für Sozialforschung Halle und zugeschaltet ist…
Dörte Busch: Dörte Busch. Ich bin Mitglied des Zentrums für Sozialforschung Halle und ich habe eine Professur für Zivil- und Sozialrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.
Thomas Ketzmerick: Wir forschen im Bereich Inklusion. Unser Thema heute ist die digitale Barrierefreiheit. Dafür haben wir uns Michael Wahl eingeladen. Hallo Herr Wahl.
Michael Wahl: Hallo aus Berlin. Hallo nach Halle.
Thomas Ketzmerick: Herr Wahl ist Leiter der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik. Herr Wahl, können Sie einen kurzen Überblick zu den Aufgaben der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik geben?
Michael Wahl: Sehr gern. Wir sind ein noch sehr kleines Team von mittlerweile sieben Mitarbeitenden. Wir sitzen hier mitten in Berlin, in der Wilhelmstraße, also im Regierungsviertel und haben eigentlich, sagen wir immer, vier Hauptaufgaben. Die kommen aus dem Gesetz und zum Teil sind die natürlich auch nach Schwerpunkt ein bisschen aufgebaut und haben sich jetzt entwickelt in den letzten Jahren. Und als Monitoring- oder Überwachungsstelle kürzen wir uns mit BFIT ab, also B-F-I-T (BarriereFrei) bfit-bund.de ist auch gleichzeitig unsere Domain, das baue ich immer ganz am Anfang ein, wenn jemand nachschauen will, wir haben viele Informationen zum Thema.
Und unsere erste Aufgabe betrifft eben das Überwachen oder Monitoren. Also wir testen Webseiten und Apps auf digitale Barrierefreiheit für Deutschland auf der Bundesebene.
Und wenn wir auch gleich zur zweiten Aufgabe dann kommen, das ist dann die Berichtslegung. Da ist der Bericht an die EU -Kommission, gerade jetzt am 5. März hat das BMAS (Bundessozialministerium) den Bericht rausgegeben. Da berichten wir eben zusammen mit den Ländern. Es gibt auch 16 Länderüberwachungsstellen, die natürlich das Testen auf der Landesebene dann machen und auf der kommunalen Ebene. Und wir erarbeiten zusammen diesen Monitoringbericht oder EU-Bericht heißt der bei uns. Das ist der zweite, der jetzt rausgekommen ist. 2021 bis 2024 war die Laufzeit oder die Überwachungszeit. Und da geht es eben um die Sachlage, wie sieht es eigentlich mit digitaler Barrierefreiheit in Deutschland aus? Also angefangen von Webseiten über Apps, über Dokumente, PDFs etc.
Die Aufgabe drei ist das Beraten. Also wir beraten unsere Prüflinge, weil die teilweise sehr am Anfang stehen und sehr umfassende Berichte bekommen. Und unser Credo von Anfang an war eben nicht nur den Fehler aufzuzeigen, sondern auch zu schauen, wie kann man denn die Barrieren aus dem Weg räumen.
Und der vierte Aufgabereich ist der Ausschuss für digitale Barrierefreiheit, den wir so verstehen, dass wir uns als Informationshub aufstellen für digitale Barrierefreiheit und all die Umsetzungen und Leitlinien, die es da gibt und auch ein bunter Blumenstrauß an Themen und Arbeitsgruppen, zum Beispiel zur deutschen Gebärdensprache, zur Leichten Sprache, zur Barrierefreiheit von Software, zum berühmten Online-Zugangsgesetz oder digitale Verwaltung. All diese Themen gehen wir gemeinsam mit Verbündeten an, aus Bund und Land. Das sind Hochschulen, das sind Schwerbehindertenvertretungen des Bundes, das sind öffentliche Stellen, auch der Länder, des Bundes. Wirtschaftsunternehmen sind dabei und natürlich die wichtigste Gruppe, die Menschen mit Behinderung selbst und deren Selbstvertretungsverbände und all die zusammen formieren diesen Ausschuss und der gibt dann Publikationen raus und Leitlinien und versucht eben, die digitale Barrierefreiheit so zu erklären, dass auch Nicht-InformatikerInnen damit was anfangen können. Das sind unsere vier Hauptaufgaben.
Wir haben noch eine kleine andere Aufgabe, die wird jetzt vielleicht im Rahmen des BFSG wichtig. Die wird immer größer. Das ist die Beratung der Schlichtungsstelle auf Bundesebene. Also wenn eben ein Verband oder ein Bürger Probleme mit digitaler Barrierefreiheit der öffentlichen Hand des Bundes hat, dann kann er die Schlichtungsstelle anrufen und die technischen Fragen einer Lösung, die erarbeitet er dann gemeinsam mit den Juristen von der Schlichtungsstelle und eben den Petenten und das wird im Rahmen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes wahrscheinlich eher größer werden, weil die Schlichtungsstelle da eben dann auch Schlichtungsverfahren übernehmen kann und wird zu diesen Themen der privaten Wirtschaft, die sich ja auch zur digitalen Barrierefreiheit jetzt darauf einstellen muss.
Dörte Busch: Digitale Barrierefreiheit ist so ein großer Begriff und ich bin keine Informatikerin. Ich weiß so richtig immer gar nicht, wo ich ansetzen soll und welche Bereiche es alles betrifft, können Sie uns einige digitale Barrieren einmal aufzeigen und genau genommen, was bedeutet digitale Barrierefreiheit?
Michael Wahl: Wir versuchen immer vom Nutzer oder Nutzerin zu kommen und zu denken und das passt auch, weil die WCAG, also die Web Contact Accessibility Guidelines, also der weltweite Standard für digitale Barrierefreiheit, hat auch vier Prinzipien und er nennt auch einige, es sind zwar neun Nutzergruppen, aber man kann so aus diesem Bereich, also wem nutzt das eigentlich, den neun Nutzergruppen und wie nutzt es, das sind dann die Wirkungsprinzipien, hört sich jetzt sehr abstrakt an, kommen wir gleich zu was zum Anfassen, da kann man das ganz gut ableiten.
Das erste Prinzip ist die Wahrnehmbarkeit, da fallen einem dann natürlich zuerst Blinde und sehbehinderte Personen ein, die mit dem Digitalen interagieren können. Jetzt mal egal, auf welchem Gerät und da kann man sich vorstellen, wenn man die Maus zur Seite legen muss und gleichzeitig noch den Bildschirm ausmachen muss, dann ist es relativ wichtig, dass alles, was da an Information und Kommunikation digital läuft, eben erstmal wahrnehmbar ist. Also ich muss es hören, ich muss es mit einer Sprachausgabe hören, ich muss es ertasten über eine Braillezeile. Das ist, glaube ich, ganz anschaulich, wo da so eine Barriere liegt.
Zweites Prinzip, oder bleiben wir nochmal bei der Wahrnehmung, sind auch die Menschen, die nicht hören können, die natürlich zwar durchs Web sich klicken können, aber wenn dann Informationen eben ausschließlich akustisch gegeben werden oder in Videos eben gesprochen wird oder andere Möglichkeiten, noch die Sprache vielleicht ein bisschen schwierig ist, dann braucht man da deutsche Gebärdensprache oder eben Untertitelung, also auch eine klassische Wahrnehmungsform. Und wir hatten das ganz augenscheinlich bei der Corona-Zeit oder jetzt auch bei den Warn-Apps, die es ja so gibt, durch den Klimawandel, wissen wir ja auch, Europa wird immer wärmer und dann irgendwie auch theoretisch Naturkatastrophen, das heißt, ich muss gewarnt werden und natürlich bringt mir da eine Sirene relativ wenig, wenn ich nicht höre, das heißt, ich muss auf meiner App auch irgendwie nicht nur einen Ton haben, sondern da muss es ein haptisches Feedback geben oder eine Textzeile, die sagt, Warnstufe sowieso, keine Ahnung, Waldbrand in der Nähe. Auch das gehört zum Digitalen dazu. Das sind so Sachen, an die denkt man vielleicht erstmal gar nicht.
Gut, dann haben wir noch das Prinzip der Verständlichkeit. Da kommen wir jetzt ein bisschen in die Gruppe der Menschen mit Lernschwierigkeiten oder auch Menschen, die in der Sprache, in der deutschen, nicht so unterwegs sind. Auch die können zwar sehen und hören, aber die haben vielleicht Probleme damit, nehmen wir mal was, was viele vergessen, ein bestimmtes Zeitlimit einzuhalten. Also es gibt immer noch Formulare, da haben Sie fünf Minuten Zeit und wenn das abläuft, können Sie von vorne anfangen. Und so eine Beschränkung ist eben eine Barriere, die dann jemanden, der vielleicht ein bisschen länger braucht, um Formulartexte verstehen und einzugeben, der benötigt da längere Zeit für. Und da ist eben so eine Zeitlimitierung auch eine Barriere. Also Thema Verständlichkeit oder Sprache haben wir auch, Sprachniveau haben wir da, oder dass ich Fehleingaben von Formularen richtig bedienen kann. Also da haben wir die Nutzergruppe eben, die dann auf die Verständlichkeit sehr angewiesen ist.
Dann haben wir die Bedienbarkeit, das ist auch noch ein Prinzip. Da nehme ich jetzt vielleicht mal Menschen mit motorischen Einschränkungen oder vielleicht Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen, also das kann ein Tremor sein oder kann auch nur ein Gipsarm sein oder jemand, der die Gliedmaßen nicht mehr so einsetzen kann, dass er eine Tastatur und eine Maus bedienen kann, dann muss der auch einen Schalter bedienen können, einen SENDEN-Button, per Sprache. Das kennt man im Alltag nicht so oft, aber es gibt Menschen, die ihren Computer, so wie das manche Leute zu Hause mit Alexa oder Siri machen, die bedienen ihren Computer eben per Sprache.
Und das letzte Prinzip noch zur Ergänzung ist die Robustheit, das heißt, der ganze Aufbau muss sowohl auf meinem Desktop wie auf einem Tablet, wie auf einem – mittlerweile sind die Handys auch nicht mehr so klein – aber auf einem kleineren Display funktionieren. Früher hat man mal „responsives Design” gesagt. Und das ist auch so eine schöne Brücke, die ich immer ganz gerne nehme zur Gebrauchstauglichkeit oder Usability. Das heißt, wenn ich mit meinem Laptop irgendwo in der Sonne sitze und mal draußen arbeiten will, dann ist es wahrscheinlich ganz gut, wenn ich den Kontrast oder den Dunkelmodus so einstellen kann, dass ich dann eben auch als normaler, nicht beeinträchtigter Mensch zumindest ohne Schwerbehindertenausweis auch noch die Sachen auf meinem Screen erkennen kann. Und der Dunkelmodus zum Beispiel ist etwas, was für Menschen mit Behinderung in Anführungsstrichen „erfunden” wurde. Und die hohen Farbkontraste sind auch eine Anforderung für Sehbehinderte. Also auch da geht es um diese Art Robustheit. Also ich kann auf meine Bedürfnisse eingestellt, egal von welcher Eingabe-Interface ich komme, eben interagieren.
Dörte Busch: Sie haben Beispiele gebracht für Menschen mit Beeinträchtigungen, was die Vorteile angeht. Zum Beispiel das Dunkeldesign. Das liebe ich zum Beispiel auch total. Und Sie haben aber auch Barrieren angesprochen. Wenn es eben, ich kenne das von Ticketbuchungen, dann ist das Ticket acht Minuten im Warenkorb und danach funktioniert nichts mehr. Aus Ihrer Perspektive: Bedeutet Digitalisierung mehr Teilhabe für Menschen mit Behinderungen? Oder sind wir momentan in dem Bereich, dass wir mehr Barrieren aufbauen?
Michael Wahl: Das ist eine sowohl-als-auch-Frage. Also grundsätzlich ist das so, dass durch die Digitalisierung jetzt gerade Menschen wie mir, der ja auch, also ich bin ja auch blind, sehr viel ermöglicht, also potenziell wird sehr viel ermöglicht. Kann das immer so ein bisschen plakativ machen, so studieren vor dem iPhone, was ich getan habe und das Studieren nach dem iPhone, weil durch das iPhone dann doch ganz viel im Alltag möglich war, was Bewegungsfreiheit angeht, also ich muss keine Busfahrpläne mehr am Aushang lesen, die ich eh nicht lesen kann, sondern die gibt es in der App. Das ist vielleicht ein ganz gutes Beispiel, bleiben wir dabei mal. Und jetzt ist natürlich die Möglichkeit da, dass ich dann, und das geht auch mit den meisten Verkehrsverbund-Apps, nicht perfekt, aber es geht immer besser, dass ich mir meine eigene Reiseroute plane und auch auf Verspätungen reagieren kann, im Optimalfall auch noch, wenn das Ticket jetzt irgendwie ungültig ist oder es Verspätungen gibt, da auch in die Erstattung gehen kann. Das klappt übrigens noch nicht, aber da wollen wir ja irgendwo hin. Natürlich ist da schon durch das Digitale viel mehr möglich als mit dem alten „Ich verschicke einen Brief an die Bahn, dass ich mein Ticket per Papier gerne [hätte] und erstattet bekommen hätte und der Fahrplan hängt irgendwo hinter einem Glaskasten“. Da ist die App schon ein Zusatz oder also die bringt einen Mehrwert, was Teilhabe angeht. Aber wenn sie natürlich nicht barrierefrei ist, dann ist diese Teilhabe eben auch wieder nicht ermöglicht. Insofern sowohl als auch, also es ist eine Riesenchance.
Wir müssen aber, wenn wir ehrlich sind und unseren letzten Bericht anschauen – also die Sachlage auf der öffentlich-rechtlichen Seite und die in der Privatwirtschaft, die ist mit Sicherheit nicht besser – dann müssen wir einfach zu dem Schluss kommen, dass digitale Barrierefreiheit noch sehr, sehr rudimentär umgesetzt ist. Und das gilt sowohl für einzelne Befunde, wenn wir jetzt Apps angucken oder Webseiten, das gilt auch für Software. Und sicher auch ein Thema am Arbeitsplatz, gerade da ist das Thema extrem wichtig, digitale Barrierefreiheit in der Software, auch da gibt es noch viel zu tun. Es fehlt an einzelnen Umsetzungen, aber es fehlt vor allen Dingen an Strategie. Nehmen wir mal die App der Deutschen Bahn, da kann man schon eine Menge machen, nur wenn ich nachher im Zug sitze und habe 80 Minuten Verspätung und der Schaffner drückt mir einen Briefbogen in die Hand und sagt: „Damit können Sie dann zu Ihrem lokalen Reisezentrum gehen und füllen Sie das per Stift aus“, dann ist mir auch nicht geholfen. Also insofern, Chance ist immer noch da. Wir haben sie aber noch nicht richtig genutzt, um digitale Teilhabe zu erhöhen. Und ich glaube, die Chancen sind sehr, sehr vielfältig, wenn man sie denn jetzt nutzt und nicht zehn Jahre wartet und dann irgendwann denkt, hätten wir das mal vorher genutzt.
Dörte Busch: Wen kann man genau ansprechen, um digitale Barrierefreiheit zu verbessern? Geben Sie uns auch einen Arbeitsauftrag mit, wer muss viel besser arbeiten, dass wir das gut hinbekommen in Deutschland?
Michael Wahl: Also im Endeffekt eigentlich alle inklusive der Gesetzgeber. Aber machen wir es mal konkret, die wenigsten schreiben ja Gesetze oder sitzen im Parlament. Ich kann, was öffentliche Stellen angeht, sind die öffentlichen Stellen verpflichtet, eine Erklärung zur Barrierefreiheit für ihre digitalen Angebote bereitzustellen. Und Teil dieser Erklärung zur Barrierefreiheit ist auch ein Feedback-Mechanismus, in dem ich als nutzende Person eben sagen kann, dieses PDF bei euch auf der Seite ist nicht barrierefrei oder wie Sie gerade sagten, das Ticketsystem hat mich nach fünf Minuten rausgeschmissen, ich brauche aber längere Zeit. Also das ist bewusst niedrigschwellig gemacht, also eine Mail reicht oder eine Textnachricht für Menschen, die vielleicht gehörlos sind etc. Und dieser Feedback-Mechanismus wird noch viel zu wenig genutzt. Jetzt kann man natürlich sagen, an was liegt das? Entweder beschwert sich keiner oder die Menschen haben Vorbehalte. Das kann sein, aber es gibt auch ganz oft einfach das Phänomen, dass es eine Erklärung zur Barrierefreiheit samt Feedback-Mechanismus noch gar nicht gibt. Und dann wird es natürlich schwierig mit der Kommunikation. Also da sind sowohl Betroffene, aber in erster Linie auch die öffentlichen Stellen aus Kommunen, Bund und Land aufgefordert, dieses bereitzustellen und das ist auch nicht so schwer. Also da gibt es Mustererklärungen und das ist auch eine Pflicht, also da kann man auch gar nicht drüber verhandeln. Also das ist wirklich ein sehr, sehr bedenklicher Zwischenstand, dass die meisten nicht mal eine Erklärung zur Barrierefreiheit haben oder viele nicht. Auch das kann man in unseren Berichten nachlesen, wie viele und wie viel nicht.
In der Wirtschaft oder wenn ich mir jetzt mit dem Barrierefreiheitstärkungsgesetz das überlege und anschaue, dann ist es natürlich auch da ein riesig langer, aufwendiger Weg. Das ist ein Verbraucherrechtsinstrument, der European Accessibility Act, der hinter dem Barrierefreiheitstärkungsgesetz steht. Da habe ich schon Rechte als Verbraucher und auch da gibt es eine Marktüberwachung, die gerade im Aufbau ist und auch da können sich die Menschen hinwenden, nur das dauert natürlich alles. Das wird nicht von heute auf morgen passieren und wenn ich jetzt ein Ticket für ein Konzert kaufen will und weiß, dass es in drei Stunden weg ist, ist es auch blöd. Da empfehle ich es dann wirklich, ich mache das immer mit App-Entwicklern, denen Feedback zu geben und zu sagen, ihr habt nicht nur die gesetzliche Pflicht, sondern auf die Potenziale hinzuweisen. Es gibt eben immer mehr Menschen, die aufgrund der Demografie oder anderer Barrieren eben als Kundensegment noch nicht erschlossen sind und das machen auch Unternehmen. Also es gibt große Unternehmen in Deutschland, es gibt auch Zusammenschlüsse, die das wirklich von den Inklusionsbeauftragten der Unternehmen getrieben, wirklich einfordern und umsetzen.
Und dann kommen wir vielleicht noch zu der Seite, zu den Unternehmen. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Schlüssel, also wir als öffentliche Hand werden natürlich oder auch als Hochschulen geben wir uns Mühe und passiert auch viel, aber das normale Leben, das Alltagsleben läuft meistens eben dann doch bei Onlineshops oder bei Banken, Versicherungen sonst wo ab, bei Arbeitgebern. Und da eben ein Bewusstsein zu entwickeln und zu sagen, das ist nicht nur so ein nerviges Thema und das ist irgendwie wieder mehr Bürokratie, was wir ja gerade immer dann hören, das wird ja immer ganz gerne dann abgewendet, aber ist es wirklich Bürokratie? Also A ist es, glaube ich, keine Bürokratie, sondern es ist ein bisschen technische und redaktionelle Mindset-Erweiterung, dass man anders auftreten muss und sich im Design vorher überlegen muss, wie man auftritt und wie man alle Nutzergruppen einbindet und dann kostet das hinten raus auch nichts mehr oder nicht mehr so viel. Also das ist eigentlich so eine Art, wenn man das jetzt wirtschaftlich betrachtet, eine Art Feinjustierung von der Kundenperspektive und der Zielstellung, dann natürlich ist es ein bisschen Investition. Und dann macht man das aber auch nicht, wie man immer wieder hört, was manche sagen, dann mache ich das halt für die drei, vier Blinden. So ist es nicht. Sondern diese Verbindung zwischen Usability und digitaler Barrierefreiheit, die ist sehr eng. Und Usability will jeder. Jeder will Kunden möglichst ein tolles Erlebnis bieten. Und Amazon von A bis Z, die sind ja nicht umsonst so erfolgreich. Und auf der anderen Seite, wenn man da mit Barrierefreiheit kommt, sagt jeder: „Muss das denn sein?“. Also da geht es um einen Bewusstseinswandel, in den Kundengruppen die Potenziale zu sehen und auch eine Selbstverpflichtung in den Unternehmen da zu wecken, sage ich mal.
Thomas Ketzmerick: Ich höre da so raus, Barrierefreiheit wird häufig als Last empfunden. Dabei können eigentlich alle profitieren von Barrierefreiheit. An wen können wir denn da denken, außer Menschen mit Behinderung? Profitieren davon auch besonders ältere oder Menschen mit Einwanderungsgeschichte? Allgemein auch Menschen ohne Behinderung?
Michael Wahl: Ja, ein bisschen hat man es ja schon angeschnitten. Wenn wir jetzt die drei Gruppen mal nehmen, also ältere Menschen. Ich mache es ja mal ganz plakativ. Die digitale Barrierefreiheit denkt von den Bedarfen aus. Das heißt, ob ich jetzt sehbehindert bin von Geburt an oder ob ich mit, wann fängt das meistens an, mit Mitte 60, die Dioptrienzahlen steigen und ich dann am Bildschirm auch mal Kontraste brauche und nichts mehr erkenne, ist der digitalen Barrierefreiheit egal. Also da kommt das nicht auf den Schwerbehindertenausweis an, sondern da kommt es darauf an, wie kriege ich diesen Menschen dazu befähigt, eben wieder Informationen wahrzunehmen. Da haben wir das Prinzip der Wahrnehmbarkeit wieder.
Und dann hat man schon eine Riesengruppe, die ist auch viel größer, glaube ich, als nur die Gruppe mit Schwerbehindertenausweis, die dann davon profitiert, wenn Sachen logisch aufgebaut sind und gut wahrnehmbar sind.
Logisch aufgebaut, kommen wir zum nächsten Punkt. Wenn ich mal überlege, dass ich einen komplexen Sachverhalt, sagen wir mal eine Produktbeschreibung, von mir aus, von einem Grill, wir haben ja Frühling gerade, dann muss ich mir überlegen, dieser Grill wird mit Gas betrieben, dann muss ich erstmal gucken, welche Gasflaschen, welche Gasmischung, wo kann ich den aufstellen, was ist mit, keine Ahnung, wie heiß wird das Ding? Wie muss ich den abstellen, damit Kinder nicht gefährdet werden, also tausend Gedanken. Und jetzt überleg mal, da ist jetzt jemand, der kognitiv nicht…, ja, also der eine Lernschwierigkeit hat, der sich sagt: „Oh, Grill und Gas ist ja furchtbar und nicht, dass das Ding explodiert.“ Und dann sind da irgendwelche Symbole mit einer Flamme und dann, wenn ich das Ding dann so erklärt habe, dass der Mensch, der da besondere Bedenken hat, weiß, ich kann diesen Grill anmachen, der hat einen Knopf zum An- und Ausstellen, der wird so und so heiß und zur Not ziehe ich halt einen Stecker raus, dann ist sowieso alles sicher. Dann ist das für uns irgendwie gar nicht so entscheidend, aber für den Menschen vielleicht schon.
Und da kommen wir vielleicht dann auch zur dritten Gruppe. Jetzt soll jemand, der aus Südkorea kommt, halt diesen, auf Deutsch, diesen Grill kaufen. Also wenn ich mir jetzt überlege, ich muss eine Produktspezifikation über irgendwelche Temperaturen und brennbare Flüssigkeiten auf Koreanisch lesen, dann würde ich das lieber sein lassen, es sei denn, mir bietet jemand eine gute Darbietung in Sprache und auch in Bildern, kann man ja oft sprechen, so an, dass ich es auch aus Deutschland in Korea verstehe oder in dem Fall eben andersherum als Koreaner in Deutschland und da haben wir dann eben diese Verständlichkeit, die dann auf einmal Menschen nutzt, auf die man gar nicht so kommt, weil eigentlich hat man das gedacht, ich mache das jetzt für den deutschen Endverbraucher, aber man hat auf einmal auch Menschen, die die Sprachbarrieren und Verständnisbarrieren dabei haben, obwohl sie halt jetzt gar nicht kognitiv eingeschränkt sind, sondern einfach aus einem anderen Sprache kommen, also deswegen habe ich Koreanisch genommen, weil die Sprache ja komplett anders funktioniert. Und da kann man mit den Bildern wieder sehr viel erklären.
Thomas Ketzmerick: Das sind interessante Beispiele, wie Barrierefreiheit auch Gruppen einbinden kann, die man vorher vielleicht gar nicht so auf dem Schirm hatte. Dennoch ist Barrierefreiheit natürlich ein Aufwand. Wird KI uns künftig helfen, Barrieren zu vermeiden oder gibt es heute schon empfehlenswerte Lösungen?
Michael Wahl: Ja, in der künstlichen Intelligenz liegt, wie für alle, glaube ich, ein Riesenpotenzial, wenn wir sie gleichzeitig nicht überschätzen. Das ist immer das Wichtige. Ein Beispiel wäre alles, was Übersetzung angeht. Man kann immer die Leichte Sprache nehmen oder Einfache Sprache und die deutsche Gebärdensprache. Und der Riesenvorteil von KI ist eben der automatisierende Charakterzug. Also wenn ich Standardtexte habe, nehmen wir jetzt mal eine klassische, bescheidene Behörde, dann wäre das früher mit Riesenkostenaufwand gewesen, wenn da jetzt jemand in Gebärden umsetzen muss. Kann aber sein, dass jemand aus der tauben oder gehörlosen Community eben auf Gebärdensprache besteht, ist auch sein Recht, und dann hat man immer ein Problem gehabt. Das kann man jetzt über Avatare, KI-gesteuerte Avatare, lösen. Die sind nicht ganz unumstritten, die sind in der Entwicklung, und da gibt es auch Bedenken, ob die so gut sind wie Menschen, aber zumindest kann man da ganz, ganz viel Sprache schon mal auf ein Niveau heben, dass ein gehörloser Mensch zumindest da schon ganz nah an der Information dran ist. Vor allen Dingen, es geht halt dann auch auf einmal in Englisch, es geht dann in Niederländisch oder auch in Serbo-Kroatisch, das ist ja das Schöne an der Künstlichen Intelligenz, also ich kann das Ganze transponieren. Ich kann es in die Hosentasche stecken, ich kann dann, keine Ahnung, das Ding überall mit hinnehmen zu irgendeiner Behörde und sagen: „Gucken Sie mal, den Bescheid haben Sie mir geschickt“ und so weiter und so fort.
Zweiter Bereich: Leichte Sprache ist es ähnlich, auch da haben wir ein Statement als BFIT ausgegeben, da ist KI für die Leichte Sprache noch nicht die, also man drückt nicht auf den Knopf und hat dann von Schwerer Sprache in Leichter Sprache übersetzt, das wird so nicht funktionieren. Auch für Einfache Sprache nicht, da bin ich auch im Forschungszusammenhang unterwegs, auch da wird es schwierig. Aber selbst die Experten der Netzwerke der Leichten Sprache sagen, es ist eine tolle Möglichkeit, von der leeren Seite quasi schon vorgefertigte Standardformulierungen zu haben und die dann immer noch anzupassen an die Bedürfnisse der Leichten Sprache-Nutzer. Und das sind, glaube ich, zwei Bilder, die sprechen vielleicht auch eine ganz gute Sprache, weil sie sagen, sie erleichtern uns das, sie bringen es in eine Automatisierung, eine hohe Skalierung, aber sie werden immer noch durch Menschen verfeinert, perfektioniert werden müssen. Trotzdem nimmt KI da schon eine ganze Menge Arbeit ab und baut auch Barrieren ab.
Dörte Busch: Das sind ja wunderbare Perspektiven und digitale Barrierefreiheit macht so eben auch Spaß und ich freue mich, weiterhin digital aktiv zu sein, unterwegs zu sein und doch mehr auf Barrieren zu achten und weniger Selbstbarrieren aufzubauen. Haben Sie vielen herzlichen Dank für dieses wunderbare Gespräch.
Michael Wahl: Danke auch, gern geschehen.
Thomas Ketzmerick: Auch von meiner Seite vielen Dank und tschüss!
Das war Recht auf Teilhabe. Der Podcast rund um Inklusion, Rehabilitation und Teilhabe. Mehr über uns finden Sie im Diskussionsforum Reha und Teilhaberecht unter www.reha-recht.de.
Wir freuen uns, wenn Sie auch nächstes Mal wieder reinhören.