Folge 13: Einblick in die Arbeit des Landesbehindertenbeauftragten in Sachsen-Anhalt
Shownotes
Thomas Ketzmerick & Cathleen Rabe-Rosendahl vom Zentrum für Sozialforschung Halle begrüßen den Landesbehindertenbeauftragten Dr. Christian Wallbrach. Er berichtet über seinen Werdegang vom Pädagogen zum Landesbeauftragten und gibt einen Einblick in seinen abwechslungsreichen und verantwortungsvollen Arbeitsalltag. Ein ehrliches, motivierendes Gespräch über den Stand der Inklusion – mit Herausforderungen, aber auch Lichtblicken.
Aufgaben und Einfluss des Beauftragten
Dr. Wallbrach beschreibt:
- Formale Berufung und persönliche Entwicklung in die Rolle
- Politische Beratung und Gesetzesbeteiligung
- Einfluss auf den Ministerpräsidenten und Landtag
- Arbeit mit Petitionen, Stellungnahmen, Gesetzesentwürfen
- Aufbau und Pflege von Netzwerken mit Behörden, Kommunen, Verbänden
Behindertengleichstellungsgesetz Sachsen-Anhalt (BGG LSA)
Behindertengleichstellungsgesetze/Inklusionsgesetze aller Bundesländer
Zusammenarbeit auf Bundesebene
Einblicke in:
- Zusammenarbeit mit anderen Landesbeauftragten
- Treffen auf Bundesebene
- Gemeinsame Erklärungen und Forderungspapiere
- Austausch mit dem Bundesbeauftragten Jürgen Dusel; Motto: "Demokratie braucht Inklusion"
Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen – Jürgen Dusel
Der Landesbehindertenbeirat
- Beratungsgremium für die Landesregierung
- Unabhängig und überparteilich
- in Sachsen-Anhalt bestehend aus 16 stimmberechtigten Mitgliedern
- Vorsitz und Geschäftsführung durch Dr. Wallbrach
Unterstützung bei Einzelanliegen
- Kontaktaufnahme durch betroffene Personen ist ausdrücklich erwünscht
- Regelmäßige Sprechstunden:
- Kontaktmöglichkeiten: Mail, Telefon, Besuch
- Kontakt zu den Behindertenbeauftragten in den Bundesländern
Inklusion in Sachsen-Anhalt – Stand und Herausforderungen
- Hohe Quote in Werkstätten, niedrige Beschäftigung im allgemeinen Arbeitsmarkt
- lange Bearbeitungszeiten, Personalmangel, ungeklärte Finanzierungen
- Notwendigkeit zur Novellierung des Behindertenrechts
- Barrierefreies Wohnen, Gewaltschutz, Bildungsgerechtigkeit
- Motto: "Nichts über uns ohne uns!"
Erfolgsgeschichte: Teilhabe durch Angeln
Ein junger Mann mit geistiger Behinderung erhielt mithilfe eines Nachteilsausgleichs die Möglichkeit, seiner Leidenschaft – dem Angeln – nachzugehen. Ein Beispiel dafür, wie Teilhabe konkret und lebensnah ermöglicht wird.
Projekt
Diese Podcastfolge ist im Projekt „Mit Vielfalt zum inklusiven Arbeitsmarkt – Aufgaben für das Reha- und Teilhaberecht (VinkA)“ der DVfR und ihrer Kooperationspartner entstanden – gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln des Ausgleichsfonds. Mehr Folgen und Informationen: www.reha-recht.de – Diskussionsforum Reha und Teilhaberecht
Kontakt:
Zentrum für Sozialforschung Halle e.V. an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Großer Berlin 14
06108 Halle (Saale)
info@zsh.uni-halle.de
0345/9639600
Transkript anzeigen
CATHLEEN RABE-ROSENDAHL. Willkommen zu Recht auf Teilhabe, der Podcast rund um Inklusion, Rehabilitation und Teilhabe.
THOMAS KETZMERICK. Mein Name ist Thomas Ketzmerick und neben mir sitzt wieder…
CATHLEEN RABE-ROSENDAHL. Cathleen Rabe-Rosendahl.
THOMAS KETZMERICK. Wir sind Forschende am Zentrum für Sozialforschung Halle.
CATHLEEN RABE-ROSENDAHL. Wir laden uns ja gerne Menschen ein, die auf dem Gebiet der Teilhabe behinderter Menschen Expert*innen sind. Und für heute haben wir den Beauftragten der Landesregierung von Sachsen-Anhalt für die Belange der Menschen mit Behinderung, langer Titel, Herrn Dr. Christian Walbrach, eingeladen. Die Beauftragten der Länder haben vielfältige und sehr komplexe Aufgaben. Wir können hier natürlich nur einen kleinen Einblick in diese Tätigkeit geben und wir möchten das am Beispiel von Sachsen-Anhalt tun. Herzlich willkommen, Herr Walbrach.
CHRISTIAN WALBRACH. Hallo, ich grüße Sie.
CATHLEEN RABE-ROSENDAHL. Herr Walbrach ist von Haus aus Pädagoge und war in seinem früheren Leben Lehrer und Schulleiter einer integrativen Grundschule in Magdeburg, aber Sie waren auch im Landesschulamt tätig. Uns würde natürlich jetzt interessieren, wie wird man denn dann Landesbehindertenbeauftragter?
CHRISTIAN WALBRACH. Natürlich formal durch eine Berufung, aber eigentlich erst durch den Prozess, durch die gelebte Arbeit wächst man richtig in die Aufgabe hinein, weil es ist eine Aufgabe, wo man jeden Tag dazulernt, wo man seine Erfahrungen macht. Das mischt mit den eigenen Überzeugungen, Ansichten, Stellungnahmen, und das bildet insgesamt einen Hintergrund, vor dem man wirklich spürt, nahezu tagtäglich, dass man immer mehr in die Aufgabe hineinwächst. Das macht es spannend, das macht es auch herausfordernd und das ist auch gut so. Und aus der formalen Sicht würde ich gern sagen, dass die Landesregierung auf Vorschlag des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung und natürlich im Benehmen mit dem Landesbehindertenbeirat einen Landesbehindertenbeauftragten – eine Beauftragte – gemäß Behindertengleichstellungsgesetz unseres Landes beruft. Durch Ausschreibung, das ist seinerzeit vor 5,5 Jahren, fast 6 Jahren insofern auch bei mir so passiert. Und ich hatte das große Glück und insofern auch den Vertrauensvorschuss, wenn man so will, jetzt in meine zweite Berufung zu gehen, seit einem halben Jahr und mache diese Aufgabe weiterhin aus voller Überzeugung und mit ganzer Kraft.
THOMAS KETZMERICK. Sie haben Ihre Aufgaben angesprochen. Können Sie uns da Beispiele geben? Was sind denn Ihre Aufgaben? Und welchen Einfluss haben Sie auf die Politik?
CHRISTIAN WALBRACH. Also, die Aufgaben sind hochkomplex. Die sind im Wesentlichen im Behindertengleichstellungsgesetz unseres Landes verankert, wenn man mal wieder so die formale Seite anschaut, aber eine Fülle der Aufgaben kann man auch nur bedingt planen. Die kommt auf einen zu. Wir bekommen ja nahezu täglich individuelle Hilfeersuchen, Menschen, die auf uns zukommen, das ist auch gut so. Das passt auch zu den Aufgaben, die mit den unterschiedlichsten Sorgen, Nöten und Grenzerfahrungen auf uns zukommen und uns um Unterstützung bitten, wenn ich sage uns, dann meine ich natürlich immer die Geschäftsstelle des Landesbehindertenbeauftragten. Ich bin ja nicht alleine dort tätig, sondern habe auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mich aktiv unterstützen. Ansonsten ist es so, dass ich die Politik berate, die Landesregierung, hinsichtlich der Fortentwicklung und Umsetzung der Behindertenpolitik. Das ist eine ganz zentrale Aufgabe.
Da muss man sich manchmal sehr aktiv einbringen, dass man auch gehört wird. Weil nicht in jedem Fall wird man angefragt und nimmt man so eine deutliche und bewusste Kontaktaufnahme wahr. Also, mit anderen Worten, man sollte nicht darauf warten, bis man angefragt wird oder man auf einen zukommt, sondern man muss sich aktiv einbringen. Und insofern ergreife ich auch oder initiiere Maßnahmen zum Abbau von Benachteiligungen, achte auf die Einhaltung des Benachteiligungsverbots. Da liegt einmal in der Legislatur ein Bericht zur Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes an, und zwar gerichtet an den Landtag. Ansonsten baut sich ein ziemlich großes Kooperationsgefüge auf mit den obersten Landesbehörden, mit Interessenvertretungen, Tarifparteien, Berufsverbänden. Ganz enge Zusammenarbeit pflege ich auch mit den kommunalen Behindertenbeauftragten. Wir haben ja jetzt das große Glück in Sachsen-Anhalt, dass wir in allen 11 Landkreisen und 3 kreisfreien Städten wieder kommunale Behindertenbeauftragte haben. Das war nicht immer so.
Und Sie fragten mich nach meinem Einfluss, den ich habe. Ich kann schon sagen, auch vor dem Hintergrund meiner Arbeitserfahrung, der Einfluss ist nicht gering. Denn ich bin in meiner Tätigkeit unabhängig, weisungsungebunden und geschäftsbereichsübergreifend tätig. Ich habe Vortragsrecht beim Ministerpräsidenten, wovon ich auch regelmäßig Gebrauch mache. Er ist den Themen gegenüber, die ich vorbringe, sehr zugewandt. Komme mit ihm regelmäßig über Schwerpunkte, die uns ja alle berühren, ins Gespräch, beispielsweise, wenn es darum geht, die Beschäftigungsquote schwerbehinderter Menschen in der Landesverwaltung zu erhöhen. Oder auch andere Themen, die ich jetzt nicht im Einzelnen aufzählen möchte. Aber da ist ein sehr intensiver Austausch, der da stattfindet und der dann auch jeweils Konsequenzen im Nachgang hat. Da bin ich in sehr vielen Ausschüssen des Landtages aktiv. Erinnert sei einmal hier an den Petitionsausschuss, an den Sozialausschuss, an den Bildungsausschuss und so weiter.
Da werde ich also regelmäßig zu Stellungnahmen unterschiedlichster Art, wenn es um die Eingliederungshilfe geht, wenn es um die inklusive Beschulung in unserem Lande oder von der grundsätzlichen Seite her betrachtet geht oder wenn es um Petitionen geht. Insofern um meistens sehr streitbefangene Fälle, die sich mitunter über Jahre hinwegziehen. Das ist recht anspruchsvoll, aber hier geht es immer um Einzelschicksale in der Regel. Und da lohnt natürlich jeglicher Einsatz.
Dann gebe ich Stellungnahmen zu Gesetzen und Verordnungen ab. Muss da immer ein bisschen aufpassen, dass die Beteiligungsrechte auch gewahrt werden. Also dass die Landesressorts, wenn neue Gesetze aufgelegt werden, novelliert werden oder Verordnungen ins Leben gehen sollen, dass die Landesressorts dann auch auf mich zukommen im Rahmen der Anhörung. Das ist der Punkt, den ich vorhin meinte. Da herrscht nicht immer die Konsequenz, die ich mir gerne wünsche.
Auf der anderen Seite ist die frühzeitige Beteiligung des Landesbehindertenbeauftragten im Behindertengleichstellungsgesetz verankert. Also, das muss sein, das ist jetzt kein Wunsch nur meinerseits, sondern das ist eine Pflichtaufgabe. Und da lege ich großen Wert darauf. Denn wenn der Landesbehindertenbeauftragte die Politik, wie ich sagte, bei der Fortführung und Umsetzung der Behindertenpolitik beraten soll, dann spricht es natürlich für sich, dass er bei allen gesetzlichen Entwicklungen, wenn die Belange der Menschen mit Behinderung davon betroffen sind, mit eingebunden wird, verfahrensbeteiligt wird.
CHRISTIAN WALBRACH. Gibt es eigentlich in jedem Bundesland einen Landesbehindertenbeauftragten? Ich überlege gerade, wie das Ganze bundesweit einzuordnen ist. Das heißt, es gibt ja auch den Bundesbeauftragten, wo genau sind da so die Unterschiede oder Ihre unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche und arbeiten Sie auch mit den anderen Landesbehindertenbeauftragten zusammen? Also gibt es da Treffen, Sitzungen?
CHRISTIAN WALBRACH. Ja, es gibt in jedem Bundesland beziehungsweise auch in den entsprechenden eigenständigen Stadtstaaten, wenn man so will, Bremen, Hamburg, Berlin, jeweils Beauftragte, also Landesbehindertenbeauftragte, wenn man so will. Der Begriff trägt eigentlich durch jede Form, regionale Organisationsform, so durch. Und dann gibt es auch den Bundesbeauftragten Jürgen Dusel.
Wir alle arbeiten sehr eng zusammen. Wir haben zwei Jahrestreffen. Jetzt in Kürze erst Ende Mai, das nächste Mal in Mainz. Da ist das nächste Treffen der Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern. Dort steht immer ein zentrales Thema jeweils an. Diesmal geht es um die Sicherung der Beteiligungsrechte und Partizipation der Menschen mit Behinderungen und ihrer Selbstvertretung. Das ist ein hochbrisantes Thema.
Dann gibt es im Regelfall auch immer eine Erklärung nach unseren Treffen. Also wir erklären uns zu den Schwerpunkten, die wir dort und zu den Forderungen, die wir dort besprochen haben. Diese Forderungspapiere oder Erklärungen werden auch immer wieder veröffentlicht, gehen danach durch uns jeweils multipliziert in die zivilgesellschaftlichen politischen Räume. Also wir versuchen schon unser Möglichstes zu tun, unseren Einfluss geltend zu machen, dass das, was wir dort als Forderungskatalog aufstellen, auch die alltägliche Arbeit in der gesellschaftlichen Breite mit beeinflusst. Und vor allen Dingen bei denen, die eine gewisse Multiplikationsfunktion haben, die in ihren Wirkungs- und Erfahrungsbereichen auch darauf Einfluss nehmen können.
Es lohnt sich immer wieder darauf zu schauen, damit sowas auch wirklich in die Breite geht und nicht nur auf so einer zentralen Argumentationsebene so hängen bleibt, man müsste, könnte, sollte und so. Weil in den Kommunen bilden sich zum Teil oder zeigen sich zum Teil ganz wunderbare, ganz konkrete Beispiele, wie Teilhabe umgesetzt wird, wie Barrierefreiheit gewährleistet wird, wie Menschen eingebunden werden, was man regelhaft gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen, mit ihren unterschiedlichsten Voraussetzungen, mit ihren Stärken und mit ihren Neigungen vor Ort so umsetzen kann, um eine stärkere Sozialraumorientierung zu gewährleisten und so weiter. Also, das ist hochinteressant, da immer wieder reinzuschauen. Ich selber bin da auch immer wieder gespannt und lerne, wenn es um meine Kooperation mit den kommunalen Behindertenbeauftragten geht, was die da teilweise auf den Tisch packen, was sie vor Ort tun, ist wirklich aller Ehren wert und gilt es auf jeden Fall mit unterstützt zu werden.
Der Bundesbeauftragte Jürgen Dusel, der hat ja das, wie ich finde, hervorragende Arbeitsmotto in seiner Amtszeit „Demokratie braucht Inklusion“, wobei er auch immer betont, und da bin ich ganz bei ihm, dass Demokratie und Inklusion zwei Seiten einer Medaille sind. Insofern bin ich da voll dabei bei dem, was er dort unternimmt, denn er hat ja innerhalb der Bundesregierung doch die zentrale Aufgabe, Einfluss zu nehmen auf politische Entscheidungen und er begleitet ganz aktiv die Gesetzgebung. Also, auf der Landesebene ähnlich das, was wir auch auf unserem Portfolio haben. Er hat aber keine Möglichkeit, Behörden oder anderen Stellen Weisung zu erteilen und ein bestimmtes Handeln vorzuschreiben. Das deckt sich mit unseren Befugnisgrenzen auch. Das kann ich so unterschreiben, da gibt es eben für alles doch eine gewisse Grenze. Das ist auch in Ordnung so, weil wir können natürlich den entsprechenden Organen die Zuständigkeit und Verantwortung nicht abnehmen. Aber wir sind – wir, das betrifft den Bundesbeauftragten, aber auch die Beauftragten der Länder – in einer entsprechenden Vermittlungsrolle, um genau diese Vermittlung zwischen der individuellen Bedarfssituation und den jeweiligen staatlichen Stellen und diese Verbindung herzustellen, sodass sich eine jeweils zu identifizierende Problemlösung dann ergeben kann.
THOMAS KETZMERICK. Kommen wir nochmal auf die Strukturen im Land zurück. Sie haben den Landesbehindertenbeirat erwähnt. Können Sie kurz sagen, was das ist und welche Aufgaben dieser Beirat hat?
CHRISTIAN WALBRACH. Der Landesbehindertenbeirat ist ein ganz entscheidendes Diskussions- und Beschlussgremium in unserem Land.
Dieses Gremium ist rechtlich im Behindertengleichstellungsgesetz unseres Landes fest verankert. Und der Landesbehindertenbeirat wird bzw. ist, je nachdem... Wir haben ja vor einiger Zeit einen neuen Beirat berufen, neue Mitglieder, da gibt es natürlich auch immer die eine oder andere personelle Schwankung, auf die man zu reagieren hat. Oder die Legislatur ist abgelaufen, dann kommen neue Berufungen. Aber es ist so, dass der Beirat beim für die Behindertenpolitik zuständigen Ministerium eingerichtet wird. Und das ist bei uns im Lande das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung.
Ansonsten ist der Beirat unabhängig und überparteilich tätig. Das ist eine große Chance, auch im Rahmen der Beratung gegenüber der Landesregierung in allen Angelegenheiten, die für die Belange der Menschen mit Behinderung von Bedeutung sind, entsprechend tätig zu werden. Es gibt eine gewisse argumentative Freiheit und macht nicht befangen. Der Beirat besteht im Kern aus 16 stimmberechtigten Mitgliedern, den jeweiligen Stellvertretungen, und er besteht aus Sachverständigen und nicht-stimmberechtigten Mitgliedern, so wie natürlich meiner Person, als demjenigen, der den Beirat leitet.
THOMAS KETZMERICK. Sie haben auch erwähnt, dass Sie sich auch mit Einzelanliegen befassen. Kann eine behinderte Person sich auch einzeln an Sie wenden?
CHRISTIAN WALBRACH. Ja, unbedingt, dass sich Menschen mit Behinderungen oder die sie vertretenden Personen sich unmittelbar an uns wenden ist a) gelebte Praxis, das schwankt so ein bisschen, mal ist es mehr, mal ist es weniger. Aktuell nehmen die individuellen Hilfeersuchen, wie ich es mal so bezeichnen möchte, massiv zu. Und ist b) auf jeden Fall das Signal, ja, unbedingt wenden Sie sich an uns beziehungsweise an unsere Geschäftsstelle. Wir haben dafür auch einen Sprechtag eingerichtet, um das ein wenig planbar zu halten und nicht dem Zufall zuzuordnen. Und wenn Sie fragen wann, dann rufe ich klar hinaus: jeden 2. Donnerstag im Monat in der Zeit von 13.30 Uhr bis 15.00 Uhr. So haben wir es auch auf der Seite des Landesbehindertenbeauftragten so verankert, dass man von außen doch mal drauf schauen kann.
CATHLEEN RABE-ROSENDAHL. Und wenn ich jetzt in einem anderen Bundesland lebe, kann ich einfach schauen, wer ist mein Landesbehindertenbeauftragter, meine Behindertenbeauftragte und auch an die kann ich mich dann im Einzelfall wenden?
CHRISTIAN WALBRACH. Absolut, ja. Das hat im Regelfall jeder Beauftragte oder jede Beauftragte so entsprechend eingerichtet. Aber unabhängig davon, von solchen Sprechzeiten, ist es völlig klar, dass man sich, meistens ist die Not sehr groß, das können wir aus den Dingen, die auf uns zukommen, auch so deutlich ablesen, kann man sich jederzeit an uns wenden. Es gibt den Mailweg, es gibt die Möglichkeit zu telefonieren. Man kann auch spontan vorbeikommen. Alles das ist schon in unserem Alltag regelmäßig anzutreffen und das ist völlig in Ordnung so. Dafür sind wir da.
CATHLEEN RABE-ROSENDAHL. Dann würde ich sagen, kommen wir zur letzten Frage. Und zwar, wie ist Ihre Einschätzung? Wo steht das Land Sachsen-Anhalt im Moment in Bezug auf Inklusion? Was gibt es gerade für Herausforderungen? Und vielleicht auch im Kontext, wo sehen Sie die Herausforderungen bundesweit?
CHRISTIAN WALBRACH. Im Kern steht Sachsen-Anhalt vor ähnlichen Schwerpunkten und Aufgaben wie die anderen Bundesländer auch. Das zeigt der regelmäßige Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Ländern. Aber speziell in Sachsen-Anhalt haben wir, wenn Sie danach fragen, zum Beispiel eine hohe Beschäftigungsquote in den Werkstätten für behinderte Menschen im Vergleich zum Bundesmittel, eine zu geringe Ambulantisierungsquote, also ein zu starkes Verharren, zum Beispiel in stationären Wohnformen, in Einrichtungen der Behindertenhilfe, die ich jetzt aus dieser Perspektive nicht einer Bewertung unterziehe. Das ist einfach eine Zustandsbeschreibung, wie sie in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu anderen Bundesländern existiert.
Wir haben eine nicht ausreichende Quote der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Das zeigt sich in unterschiedlichen Arbeitsfeldern auch nochmal sehr deutlich, zum Beispiel auch in der Landesverwaltung. Da ist noch viel Luft nach oben. Es muss viel getan werden, um diese Situation schrittweise auszugleichen. Wir haben eine hohe Quote von Schulabbrecherinnen und Schulabbrechern in Sachsen-Anhalt. Da würde ich kurz, aber nur kurz schlussfolgern: Wir müssen alles dafür tun, so viel wie möglich Schülerinnen und Schüler unter Auslastung aller Fördermöglichkeiten im allgemeinen Schulgeschehen zu halten, ihnen die Förderung zukommen zu lassen, die sie benötigen. Und das alles mit Blick auf Abschluss. Sicherung. Sicherung eines für den ersten Arbeitsmarkt verwertbaren Schulabschlusses.
Wir müssen zusehen, dass wir die Assistenzteilhabe und Unterstützungsleistung für leistungsberechtigte Menschen absichern. Wir haben das Problem in Sachsen-Anhalt, aber wahrscheinlich nicht nur dort. Zumindest dort kann ich aber eine Aussage, oder zu dem kann ich eine Aussage treffen. Wir haben lange Bearbeitungszeiten, Personalmangel und ungeklärte Finanzierungen. Zumindest punktuell. Das macht die Situation nicht leichter. Wir benötigen eine Überarbeitung oder auch Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes. Das gehört auf den Prüfstand.
Wir müssen den inklusiven Arbeitsmarkt stärken, denn wir brauchen jeden und jede vor dem Hintergrund des Arbeitskräfte- und Fachkräftemangels.
Gewaltschutz ist ein wichtiges Thema, nicht nur für Menschen mit Behinderungen. Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind dreimal so stark von Gewalt betroffen wie die sogenannten Sonstigen. Darauf muss man sehr aufmerksam achten und die Organisationsformen schaffen, die gesetzlichen Hintergründe, um das schrittweise abzubauen.
Ein immer bedeutsamer werdendes Thema ist das barrierefreie und bezahlbare Wohnen. Barrierefreiheit überhaupt im Bau, im öffentlichen Personennahverkehr, in der Mobilität, öffentliche Gebäude, Arztpraxen und so weiter. Und bei all dem geht es immer und vor allem auch um die Sicherung der Beteiligungsrechte und die Partizipation. „Nichts über uns ohne uns“ ist der Grundsatz und den muss man ernst nehmen.
THOMAS KETZMERICK. Können Sie uns zum Abschluss noch eine Erfolgsgeschichte, Sie haben ja so viele Herausforderungen und Aufgaben jetzt geschildert, aber gibt es auch eine Erfolgsgeschichte, die Sie uns erzählen können?
CHRISTIAN WALBRACH. Ja, Erfolgsgeschichten, die gibt es natürlich auch in unserem Land. Manchmal ist das reale Leben besser als der Ruf. Ja, und ich kann an dieser Stelle auch sagen, uns täte mehr Selbstbewusstsein und Werbung in eigener Sache manchmal ganz gut. Manchmal muss man nicht unbedingt die großen Räder drehen, um Erfolgsgeschichten zu haben oder nachzuweisen. Und es ist immer wieder erstaunlich, was sich in den einzelnen Regionen doch wirklich an guten Beispielen diesbezüglich abspielt. Diese Beispiele muss man einfach noch besser – in Anführungsstrichen – „verkaufen“, um Lust auf mehr zu machen, um die anderen anzustecken.
Es gibt noch mehrere interessante Beispiele, zum Beispiel ganz konkret, wir hatten letztens eine Mutter, die auf uns zukam und sagte, oder mit einem ziemlich starken Sorgenbild auf uns zukam und sagte, mein Sohn hat eine geistige Behinderung und ist begeisterter Fischer, er möchte gerne angeln. Angeln ist sein Leben. Er kann aber den Fischerei-Schein nicht machen, weil ihm von der Prüfbehörde die entsprechenden Nachteilsausgleiche nicht gewährt werden, sodass er zu einem, sagen wir mal so, akzeptablen Prüfergebnis kommt. Der Sache sind wir natürlich nachgegangen, weil wir wollten und es diesbezüglich auch keine Diskussion gab, dass der junge Mann seine Teilhabe über das Angeln eben gewährleisten kann, damit er dabei sein kann, ob im Verein, wie auch immer. Und schlussendlich ist es gelungen, einen Weg über einen Nachteilsausgleich zu finden, sodass das Ganze mit einem Abschluss einhergeht und er dabeibleiben kann. Ich könnte noch mehrere solche Beispiele aufzählen. Ich will nur sagen, wir gehen ja heutzutage mit einem modernen sogenannten ökosystemischen Behinderungsbegriff um. Das ist auch gut so. Der ist unserem Behindertengleichstellungsgesetz entlehnt und auch der UN -BRK. Behinderungen werden nicht mehr aus einer defizitären Perspektive betrachtet, sondern immer in Kombination zwischen der Beeinträchtigung und den vor den Menschen stehenden Barrieren. Daraus ergeben sich Behinderungen. Und Behinderungen, ob real vorhanden oder man ist davon bedroht, zeigen sich immer anhand der Teilhabeeinschränkungen. Erst dann wird Behinderung deutlich. Und wenn wir anhand von dem eben kleinen Beispiel und weiteren Beispielen genau diese Teilhabeeinschränkungen abbauen können, dann arbeiten wir auch sehr stark an der Einschränkung und der Vermeidung von Behinderungen. Und das muss das Ziel bleiben. Und da schaue ich anhand von solchen Beispielen zuversichtlich in die Zukunft.
CATHLEEN RABE-ROSENDAHL. Ich finde, das ist ein sehr schönes Schlusswort, gerade weil Sie die vielen Herausforderungen, vor denen Sie und unsere Gesellschaft in Bezug auf Inklusion stehen, angesprochen haben. Und solche Beispiele lassen uns dann doch hoffen, dass wir vielleicht auf einem richtig guten Weg sind. Ich bedanke mich für das Interview, für das sehr interessante Gespräch.
THOMAS KETZMERICK. Danke auch von mir.
CHRISTIAN WALBRACH. Und herzlichen Dank auch von mir und alles Gute für Sie.
THOMAS KETZMERICK. Das war Recht auf Teilhabe, der Podcast rund um Inklusion, Rehabilitation und Teilhabe. Mehr über uns finden Sie im Diskussionsforum Reha- und Teilhaberecht unter www.Reha-Recht.de.
Wir freuen uns, wenn Sie auch nächstes Mal wieder reinhören.