Folge 3: Was ist eine Behinderung?

Shownotes

In der dritten Folge des Podcasts sprechen René Dittmann und Michael Beyerlein von der Uni Kassel darüber, was eine Behinderung im rechtlichen Sinne ist. Sie stellen die Geschichte des Behinderungsbegriffs im deutschen Recht vor und klären, was eine Schwerbehinderung und was eine wesentliche Behinderung ist. Im Interview mit Prof. Felix Welti sprechen sie darüber, warum es wichtig ist, dass das sogenannte bio-psycho-soziale Modell von Behinderung Einzug in das deutsche Recht gefunden hat und wie behinderungsspezifische Rechte in der Praxis umgesetzt werden können.

Das Projekt ZIP – NaTAR

Diese Podcastfolge ist im Projekt „Zugänglichkeit – Inklusion – Partizipation. Nachhaltige Teilhabe an Arbeit durch Recht“ (ZIP – NaTAR) der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation e. V. (DVfR) und ihrer Kooperationspartner entstanden – gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln des Ausgleichsfonds.

Weitere Informationen über das Projekt ZIP – NaTAR

Weiterführende Infos und das Urteil

Welti, Felix (2023): Menschen mit Behinderungen, Sozialrecht und Sozialpolitik. Dossier. Bundeszentrale für politische Bildung.

Köbsell, Swantje (2023): Behinderung – was ist das eigentlich? Dossier. Bundeszentrale für politische Bildung.

Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und Eingliederungshilfe (Hg.) (2023): BAGüS-Kennzahlenvergleich Eingliederungshilfe 2023. Berichtsjahr 2021. Köln.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12 –, BAGE 147, 60-88.

Transkript anzeigen

MICHAEL BEYERLEIN. Herzlich willkommen zu „Recht auf Teilhabe“, dem Podcast zu rechtlichen Themen rund um Inklusion, Rehabilitation und Teilhabe. Mein Name ist Michael Beyerlein und bei mir steht René Dittmann.

RENÉ DITTMANN. Hallo Michael.

MICHAEL BEYERLEIN. Wir sind Wissenschaftler an der Uni Kassel und zusammen mit der DVfR, der Humboldt-Uni Berlin, der Martin-Luther-Uni in Halle und dem Zentrum für Sozialforschung in Halle arbeiten wir zu rechtlichen Fragen rund um die Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderungen. In dem Projekt entstehen viele sozial und rechtswissenschaftliche Analysen rund um das Rehabilitations- und Teilhaberecht. Einige davon wollen wir für Sie als Audio-Podcast aufarbeiten. Für diese Sendung haben wir uns erst einmal an ein sehr grundsätzliches Thema herangewagt. Wir wollen die Frage klären, was eigentlich gemeint ist, wenn im rechtlichen Kontext von einer Behinderung die Rede ist.

RENÉ DITTMANN. Der Begriff Behinderung ist insbesondere im Sozialrecht ein relevanter Rechtsbegriff. Er findet sich aber auch in der Verfassung. In Artikel drei, Absatz drei, Satz zwei Grundgesetz heißt es seit 1994, niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, dem Behindertengleichstellungsgesetz und dem SGB IX wird versucht, diesen Grundsatz zu konkretisieren. Aber was bedeutet das? Wer gilt im rechtlichen Sinne als behindert? Im öffentlichen Leben erscheint uns der Begriff im Jahr 1919 zum ersten Mal. Damals wurde von Otto Perl der Selbsthilfebund der Körperbehinderten gegründet. Zuvor wurden Menschen mit Körperbehinderungen auch im Recht als Krüppel bezeichnet. Der Begriff Behinderung setzte sich seitdem im Sprachgebrauch fest und wurde bereits in der NS-Zeit im Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens von 1934 und dem Reichsschulgesetz von 1938 verwendet. Zum relevanten Rechtsbegriff wurde Behinderung mit dem Körperbehindertengesetz von 1957 und dem Bundessozialhilfegesetz von 1961. Wichtige Aufgaben dieser Gesetze war es, eine Eingliederung der Menschen mit Behinderungen in das Erwerbsleben zu ermöglichen. Eine Behinderung wurde zum damaligen Zeitpunkt noch als Folge von Krankheit oder als ein persönlicher Funktionsmangel definiert. Diese Denkweise wird häufig auch als medizinisches Modell von Behinderung bezeichnet und war bis in die 1970er-Jahre hinein bestimmend. Dieses Verständnis hat sich seitdem allerdings gewandelt und man betrachtet Behinderung heute in einem sozialen Modell als Ergebnis eines gesellschaftlichen Ausgrenzungsprozesses aufgrund einer Beeinträchtigung, durch den Menschen mit Beeinträchtigungen gesellschaftliche Teilhabe, Anerkennung und der Respekt abgesprochen werden. Als Behinderung wird nun nicht mehr die individuelle Beeinträchtigung angesehen, sondern sie wird als Ergebnis der Wechselwirkung zwischen individuellen Beeinträchtigungen und Barrieren beschrieben. Vereinfacht könnte man sagen, Menschen sind nicht behindert, sondern werden durch unterschiedliche Einflüsse behindert.

MICHAEL BEYERLEIN. Dieses Verständnis von Behinderung greift auch ein wichtiger völkerrechtlicher Vertrag auf, das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Kurz, die UN-Behindertenrechtskonvention. Sie wurde 2006 von den Vereinten Nationen verabschiedet und 2009 auch von Deutschland ratifiziert. Weil diese Ratifizierung über ein Gesetz des Deutschen Bundestages mit Zustimmung des Bundesrats erfolgte, steht die Konvention in Deutschland im Rang eines einfachen Bundesgesetzes, wie es bei völkerrechtlichen Verträgen üblich ist. Dort findet sich in Artikel eins, Absatz zwei folgende Formulierung, zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige, körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Das Verständnis greift ebenfalls das deutsche Sozialrecht in § 2 SGB IX auf. Auch dort ist zu lesen, Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit Einstellungen und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung liegt auch vor, wenn der Körper und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Auch im Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes und den Behindertengleichstellungsgesetzen der Länder findet sich eine sehr ähnliche Definition. Jedoch wird dort nicht auf das Lebensalter abgestellt. Das liegt daran, dass das Alter einer behinderten Person bei Fragen des Diskriminierungsschutzes durch das BGG unerheblich ist, bei Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch aber durchaus eine Rolle spielen kann.

RENÉ DITTMANN. Wir haben also eine völkervertraglich vereinbarte, rechtlich verankerte Definition von Behinderung. Im Alltag begegnet einem dieser Lebenssachverhalt vor allem in Gestalt eines Ausweises, der den Trägerinnen eine Schwerbehinderung bescheinigt. Aktuell sind fast 8 Millionen Menschen als schwerbehindert anerkannt. Doch was hat es damit auf sich? In Paragraf zwei, Absatz zwei SGB IX steht Menschen sind im Sinne des dritten Teils des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt. Dieser Grad der Behinderung wird auf Antrag von der dafür zuständigen Behörde ausgestellt. In der Regel ist das das Versorgungsamt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung in Zehnergraden abgestuft. Festgestellt werden Behinderungen aber nur dann, wenn der GdB mindestens 20 beträgt. Vom GdB 50 an sollen dann die besonderen Rechte greifen, die im dritten Teil des SGB IX und in anderen Rechtsnormen für schwerbehinderte Menschen vorgesehen sind. Das können zum Beispiel sein, eine Beschäftigungspflicht von Arbeitgebern, das heißt, ein bestimmter Anteil der Belegschaft muss aus Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung bestehen. Ansonsten ist im SGB IX Teil III auch die Zahlung einer Ausgleichsabgabe geregelt. Zu den besonderen Rechten von schwerbehinderten Menschen gehört auch das Recht auf die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung, Regelungen zu Zusatzurlaub, Sonderkündigungsschutz und Nachteilsausgleich, außerdem Freifahrten im öffentlichen Personennahverkehr und gegebenenfalls die Mitnahme einer Begleitperson. Außerdem sind im Schwerbehindertenrecht auch Regelungen zu finden, wie zum Beispiel die Nutzung von Behindertenparkplätzen.

MICHAEL BEYERLEIN. Etwas weniger bekannt ist die Tatsache, dass es im Sozialrecht noch eine weitere Differenzierung des Behinderungsbegriffs gibt, die sogenannte wesentliche Behinderung. Wer wesentlich behindert ist, ist berechtigt, Leistungen der Eingliederungshilfe zu beziehen. Das soll vor allem Menschen mit wesentlichen körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen erfassen. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, diesen Personen eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern – wie es im Gesetzestext steht. Dazu erhalten in Deutschland 454.000 Menschen Leistungen zur sozialen Teilhabe, beispielsweise in verschiedenen Wohnformen oder als Assistenzleistungen, und etwa 276.000 Menschen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, zum Beispiel in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Und um diese Thematik ein wenig praktischer zu machen, haben wir heute unseren Chef zu Gast. Felix Welti forscht und lehrt als Professor an der Uni Kassel zum Thema Sozial- und Gesundheitsrecht und zum Recht der Rehabilitation und Behinderung. Herr Welti, welche Bedeutung hat der Wandel vom medizinischen zum psychosozialen Modell für die rechtliche Stellung von Menschen mit Behinderungen?

FELIX WELTI. Ich glaube, dass man sich in den letzten Jahrzehnten etwas bewusster gemacht hat, was im Umgang mit Menschen mit Behinderungen schon immer dagewesen ist, nämlich dass es nicht nur auf die gesundheitliche Beeinträchtigung ankommt, sondern auch auf den Kontext, auf die Menschen drum herum und auf die Umwelt. Beispielsweise bei den Kriegsopfern nach dem Ersten Weltkrieg. Man hatte Menschen, die waren durch Kriegseinwirkung verstümmelt, die hatten große Wunden im Gesicht. Und natürlich kam es darauf an, dass die Akzeptanz der Menschen da war. Das heißt, dass man gesagt hat, jemand –. Und auch heute noch haben wir ja das Problem, zum Beispiel Brandverletzte, die können ja, wenn sie im Gesicht verletzt sind, alles machen mit den Händen. Aber sie finden trotzdem schwer Arbeit, oft schwerer als Leute, die andere Behinderungen haben. Das ist ein einfaches Beispiel dafür, dass es eben auch auf die Barrieren in den Köpfen der anderen ankommt. Und damit hatte man im Behindertenrecht schon immer zu tun. Es ist gut, dass es jetzt systematischer im Behinderungsbegriff, im Recht deutlich geworden ist. Das gab auch dann den Leistungsträgern und den Gerichten noch mal die Möglichkeit, anders zu reagieren. Ein Beispiel beim Bundesarbeitsgericht war im Jahr 2013 ein Fall. Da ging es um jemanden, der war symptomlos HIV infiziert und hat deswegen eine Stelle nicht bekommen, obwohl keine Gefahr war, dass er mit offenen Wunden irgendwo hantiert hat. Und da war erst mal strittig, ob er unter die Antidiskriminierungsvorschriften wegen Behinderung fällt. Aber das Bundesarbeitsgericht hat dann unter Verweis auf diesen neuen Behinderungssbegriff gesagt, jawoll, dann ist das eine Behinderung, weil im Wechselspiel mit den Barrieren in den Köpfen der Personalverantwortlichen eine Diskriminierung entsteht. Und solche Beispiele gibt es eben mehr. Oder dass wir jetzt seit 2002 im deutschen Recht systematisch auf Barrierefreiheit achten, auch wenn keine konkrete Person da ist. Das ist auch eine wichtige Folge des neuen Behinderungsbegriffs, dass wir einfach die Blickrichtung umkehren, nicht mehr nur auf die einzelne Person gucken, sondern auch darauf, dass Arbeitsplätze, Schulen, öffentliche Einrichtungen auch von vornherein barrierefrei gemacht werden.

MICHAEL BEYERLEIN. Das bedeutet also, die Betrachtung von Kontextfaktoren ist seit jeher wichtig. Jetzt sind sie aber auch rechtlich stärker in den Blick geraten. Schaffen die rechtlichen Normen, die das aufgreifen, aber auch mehr Teilhabe?

FELIX WELTI. Rechtliche Normen können mehr Teilhabe schaffen. Sie tun das natürlich nur, wenn von ihnen auch Gebrauch gemacht wird. Das liegt dann sozusagen an uns allen. Denn Rechtsnormen geben den einen Pflichten, den anderen geben sie Rechte, die man dann auch einklagen kann, die man hoffentlich nicht vor Gericht einklagen muss. Das ist umständlich und dauert lange. Aber allein die Möglichkeit, das tun zu können, sorgt dafür, dass Menschen mit Behinderungen sich nicht als Bittsteller fühlen sollen, sondern als Inhaber von Rechten. Und die sagen können, das steht mir zu. Und wenn das nicht gemacht wird, dann kann ich auch bestimmte Folgen auslösen. Dann kann ich zur Schwerbehindertenvertretung gehen, zum Betriebsrat und notfalls zu einem Arbeitsgericht oder Sozialgericht. Dann helfen Rechte auch. Und deswegen spricht man ja auch im Zusammenhang mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht nur vom bio-psycho-sozialen Modell, sondern man spricht auch vom rechtebasierten Modell – dass man sagt, Behinderung ist eigentlich ein Begriff, den wir geschaffen haben, um zu markieren, wer soll ein einklagbares Recht auf bestimmte angemessene Vorkehrungen, auf Nichtdiskriminierung und auf passende Leistungen haben?

MICHAEL BEYERLEIN. Wo ist es denn so, dass das schon sehr gut klappt mit der Umsetzung der Rechte, mit der mit der Durchsetzung der Rechte? Und wo ist noch Luft nach oben? Wo ist vielleicht noch Reformbedarf? Oder wo müsste man noch mal mehr klagen?

FELIX WELTI. Man kann natürlich sagen, das ist eine dauernde Aufgabe, weil das Recht als lebendes Instrument, das muss auch immer am Laufen gehalten werden. Und wichtig ist, dass wir Institutionen haben, in denen das auch mit einer gewissen Selbstverständlichkeit passiert. Also ich glaube zum Beispiel, die betriebliche Schwerbehindertenvertretung ist schon eine gute Möglichkeit, da wo sie funktioniert. Und dazu gibt es auch Forschungsergebnisse, dass Rechte realisiert werden, weil einfach, Betriebsrat, Personalabteilung müssen darauf achten, weil da ist jemand, der guckt ihnen deswegen auch permanent auf die Finger, die Schwerbehindertenvertretung ... Im Umgang mit den Rehabilitationsträgern, den Leistungsträgern, ist es schon so, dass es Respekt gibt vor Rechtsansprüchen. Aber auch da kann man beobachten, wenn Menschen mit Behinderungen auch tatsächlich von ihren Rechten Gebrauch machen. Also zum Beispiel Widerspruch einlegen, wenn sie meinen, dass ihren Rechten nicht Genüge getan wird. Dann lernt eine gut aufgestellte Organisation auch aus den Konflikten. Insofern, Rechtsstreit ist ja nichts Schlimmes, sondern man muss einen Rechtsstreit sich so vorstellen, dass er die Gelegenheit für eine lernende Organisation ist, aus Fehlern zu lernen und zu sagen, okay, hier haben wir den Rechtsanspruch der Menschen mit Behinderungen nicht richtig getroffen und nächstes Mal machen wir es besser. Und wir können schon feststellen, es gibt Leistungsträger, wo das gut klappt, und es gibt welche, wo es weniger gut klappt. Das ist so im Leben, und bei denen, wo es weniger gut klappt, da muss man sich natürlich überlegen, dass vielleicht auch die internen und externen Aufsichtsmechanismen nicht so gut funktionieren. Denn man kann es nicht allein den Menschen mit Behinderungen auflasten, dass sie dann immer wieder Widerspruch einlegen müssen wegen immer der gleichen Sache. Das wirkt dann ermüdend und zermürbend. Und so soll es nicht sein.

MICHAEL BEYERLEIN. Welche Aufsichtsmechanismen wären das denn? Und inwiefern müssten die anders arbeiten?

FELIX WELTI. Also zum Beispiel bei Krankenkassen gibt es ja die soziale Selbstverwaltung. Da haben wir Arbeitgeber und Versichertenvertreter, die auch in den Widerspruchsausschüssen präsent sind und die dann aber auch im Verwaltungsrat der Krankenkasse sitzen und sagen, so könnten wir nicht mal bei Hilfsmitteln bestimmte Fehler in der Sachbearbeitung jetzt mal sein lassen in Zukunft. Und da merkt man auch schon Unterschiede, ob das gut funktioniert oder weniger gut funktioniert. Das ist jedenfalls der Mechanismus, den der Gesetzgeber sich gedacht hat mit der sozialen Selbstverwaltung. Dass aus diesen Einzelfallkonflikten auch in den Selbstverwaltungsgremien, die intern die Aufsicht führen, gelernt werden kann. Dann gibt es auch eine staatliche Aufsicht. Wir haben das Bundesamt für soziale Sicherung. Und wenn die den Eindruck haben, bei einzelnen Krankenkassen gibt es Probleme mit einer rechtmäßigen Handhabung, dann können die auch sagen wir fordern mal einen Bericht an. Das ist auch normal. Jede Behörde hat eine Aufsichtsbehörde, die darauf achten soll, dass da alles mit rechten Dingen zugeht. So einen Mechanismus kann man auch fördern, wenn man ihn kennt, indem man sich zum Beispiel an diese Behörden dann auch mit Beschwerden wendet.

MICHAEL BEYERLEIN. (...) Ja, vielen Dank, Felix Welti, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns zu sprechen. Wir sind damit am Ende dieser Folge angekommen. Wir haben uns mit der Frage beschäftigt, was eine Behinderung im rechtlichen Sinne ist und was das in der Praxis bedeuten kann. Was können wir dazu abschließend festhalten?

RENÉ DITTMANN. Ja, das Verständnis von Behinderung hat sich im Laufe der Zeit gewandelt und mittlerweile hat ein bio-psycho-soziales Verständnis Einzug in das deutsche Recht gefunden. Das heißt, dass die Wechselwirkungen einer Gesundheitsbeeinträchtigung mit der Umwelt und mit anderen Faktoren in den Blick zu nehmen sind, zum Beispiel physische Barrieren am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Raum, aber auch Barrieren in den Köpfen der Mitmenschen. Wir haben außerdem gehört, dass die UN-Behindertenrechtskonvention den sogenannten menschenrechtlichen Ansatz beinhaltet, wonach Menschen mit Behinderung als Inhaber von Rechten und nicht als Bittsteller gelten. Der Wandel des Blicks auf Behinderung hat im Sinne dieses rechtebasierten Modells also auch ein anderes Selbstverständnis zur Folge.

MICHAEL BEYERLEIN. Ja, und wir haben auch gehört, dass das ganz praktisch bedeuten kann, dass Behinderung spezifische Rechte nicht nur vor Gericht, sondern erst mal auch über die Schwerbehindertenvertretung im Betrieb oder im Verwaltungsverfahren, über Widersprüche beispielsweise, geltend gemacht werden können. Arbeitgeber und Behörden haben so die Möglichkeit, aus eigenen Fehlern zu lernen. Wir haben auch gehört, dass da, wo das nicht so gut klappt, die Selbstverwaltung zum Beispiel von Krankenkassen oder auch Aufsichtsbehörden eine wichtige Rolle spielen können. Damit verabschieden wir uns und sagen Tschüss. Bis zum nächsten Mal bei „Recht auf Teilhabe“.

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