Folge 6: Teilhabe am Arbeitsleben und der Pfad in die WfbM

Shownotes

In dieser Folge spricht Michael Beyerlein über rechtliche Regelungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Dabei wird insbesondere die Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung als besondere Form der Teilhabe am Arbeitsleben betrachtet. Im Interview mit dem Soziologen Stefan Stache von der Universität Kassel wird beleuchtet, warum der Weg für Menschen mit Behinderung scheinbar oftmals direkt von der Förderschule in die Werkstatt führt, obwohl es mittlerweile viele alternative Möglichkeiten der Beschäftigung gibt. Stefan Stache sieht eine Ursache in der gewachsenen Beratungs- und Verwaltungspraxis von Leistungsträgern und plädiert dafür, Menschen mit Behinderung Alternativen aufzuzeigen und Erfahrungen mit verschiedenen Beschäftigungsformen zu ermöglichen.

Das Projekt ZIP – NaTAR

Diese Podcastfolge ist im Projekt „Zugänglichkeit – Inklusion – Partizipation. Nachhaltige Teilhabe an Arbeit durch Recht“ (ZIP – NaTAR) der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation e. V. (DVfR) und ihrer Kooperationspartner entstanden – gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln des Ausgleichsfonds.

Weitere Informationen über das Projekt ZIP – NaTAR

Weiterführende Infos

Stache, Stefan (2023): Inklusion in beruflichen Ausbildungsübergängen. Strukturelle Probleme und politische Handlungsmöglichkeiten. Kassel.

Stache, Stefan (2024): Werkstätten für behinderte Menschen. Teilhabeerwartungen und Möglichkeiten der Inklusion in den ersten Arbeitsmarkt. Kassel.

Engels, Dietrich; Deremetz, Anne; Schütz, Holger; Eibelshäuser, Svenja; Pracht, Arnold; Welti, Felix; Drygalski, Clarissa von (2023): Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Abschlussbericht. Berlin.

Engels et al.: Das Entgeltsystem in Werkstätten für Menschen mit Behinderung aus unterschiedlichen Perspektiven – Teil I: Entlohnung und Einkommen von Werkstattbeschäftigten; Beitrag D2-2024 unter www.reha-recht.de; 14.02.2024.

Engels et al.: Das Entgeltsystem in Werkstätten für Menschen mit Behinderung aus unterschiedlichen Perspektiven – Teil II: Alternative Entgeltsysteme; Beitrag D3-2024, unter www.reha-recht.de; 19.02.2024

Engels et al.: Übergänge aus der Werkstatt für Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt; Beitrag D4-2024, unter www.reha-recht.de; 29.02.2024

Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) (Hg.) (2022): Jahresbericht 2022.

Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und Eingliederungshilfe (Hg.) (2023): BAGüS-Kennzahlenvergleich Eingliederungshilfe 2023. Berichtsjahr 2021. Köln.

Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (Hg.) (2023): Teilhabeverfahrensbericht 2023. Berichtsjahr 2022. Frankfurt am Main.

Transkript anzeigen

MICHAEL BEYERLEIN. Herzlich willkommen zu Recht auf Teilhabe dem Podcast zu rechtlichen Themen rund um Inklusion, Rehabilitation und Teilhabe. Mein Name ist Michael Beyerlein und ich bin Wissenschaftler an der Uni Kassel in einem Projekt. Zusammen mit der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation, der Humboldt-Universität zu Berlin, der Martin-Luther-Universität in Halle und dem Zentrum für Sozialforschung in Halle arbeite ich zu rechtlichen Fragen rund um die Teilhabe im Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung. Einige der Themen und Analysen werden auch als Audio-Podcast aufgearbeitet. In der letzten Folge (Folge 3) von Recht auf Teilhabe ging es darum, was eine Behinderung im rechtlichen Sinne ist. Ein zentraler Punkt dabei ist, dass eine Behinderung aus der Wechselwirkung einer Gesundheitsbeeinträchtigung mit der Umwelt und anderen Faktoren entsteht. Es gilt also auch im Recht – man ist nicht behindert, man wird behindert. Insbesondere Barrieren am Arbeitsplatz, im öffentlichen Raum, aber auch Barrieren in den Köpfen der Mitmenschen müssen darum abgebaut werden. Es ging in der Folge 3 auch darum, dass es für Menschen, die im gesetzlichen Sinne behindert sind, Rechtsansprüche gibt, um diese Barrieren zu überwinden. Das wollen wir uns heute genauer ansehen. Wir wollen über gesetzliche Leistungen zur Teilhabe sprechen und dabei insbesondere über Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM).

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass Menschen mit Behinderungen deutlich weniger häufig erwerbstätig sind als Menschen ohne Behinderung. Ihre Arbeitslosenquote ist doppelt so hoch wie die der allgemeinen Bevölkerung, also wie die allgemeine Arbeitslosenquote. Es scheint also so etwas wie eine Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt zu geben. Dabei heißt es in Artikel 3, Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes, dass niemand aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Um das Benachteiligungsverbot in der Praxis umzusetzen und strukturelle Benachteiligungen zu beenden, erlaubt das Grundgesetz Fördermaßnahmen. Dafür muss man nur in die Ausschreibungen für Arbeitsplätze sehen. Die Bevorzugung von Menschen mit Behinderung bei gleicher Qualifikation ist dort unumstritten zulässig. Im Vordergrund steht dabei die sozialstaatliche Kompensation behinderungsbedingter Nachteile. Die Förderung ist jedoch auf einen Nachteilsausgleich begrenzt und muss verhältnismäßig sein. Weitere Nachteilsausgleiche haben wir schon in der Folge 3 erwähnt, unter anderem eine Beschäftigungspflicht von Arbeitgebern, die bei Nichterfüllung mit der Zahlung einer Ausgleichsabgabe einhergeht. Bis vor kurzem war das sogar noch eine Ordnungswidrigkeit.

Es gibt aber auch weitere gesetzliche Regelungen, die die Teilhabe am Arbeitsleben fördern sollen. Das ist eingebettet in die sogenannten Leistungen zur Teilhabe. Die Regelungen dafür sind im neunten Sozialgesetzbuch zusammengefasst. Sie sollen es ermöglichen, die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Außerdem geht es darum, Einschränkungen der Erwerbstätigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden, die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen. Dazu werden von den zuständigen Leistungsträgern – also, das können sein Krankenkassen, die Bundesagentur für Arbeit, Träger der Unfallversicherung, Träger der Rentenversicherung oder der sozialen Entschädigung der Kinder und Jugendhilfe oder der Eingliederungshilfe –, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, unterhaltssichernde und ergänzende Leistungen, Leistungen zur Teilhabe an Bildung, Leistungen zur sozialen Teilhabe und eben auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dienen dazu, die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit Behinderung entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe im Arbeitsleben so möglichst auf Dauer zu sichern. Diese Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben umfassen insbesondere Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes. Sie können eine Berufsvorbereitung sein, aber auch individuelle betriebliche Qualifizierungen, zum Beispiel im Rahmen unterstützter Beschäftigung, berufliche Anpassung, Aus und Weiterbildung. Im Jahr 2022 gab es über 430.000 Anträge auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Man sieht also, es ist eine sehr relevante Rehabilitationsleistung und nur die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind noch häufiger bzw. werden häufiger beantragt.

Eine besondere Form der Teilhabe am Arbeitsleben ist die Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. Ende 2021 waren bundesweit um die 270.000, also fast 280.000 Personen im Arbeitsbereich einer WfbM beschäftigt. Hinzu kommen 30.000 Teilnehmende am Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich. Da wird geprüft, ob Menschen mit Behinderungen fähig sind, in der Werkstatt mitzuarbeiten und eventuell erhalten sie eine entsprechende Schulung, beziehungsweise eine kleine Ausbildung. Und noch einmal 40.000 Personen haben diese Eignungsprüfung durchlaufen, es wurde aber festgestellt, dass sie die Voraussetzungen für eine Beschäftigung in der Werkstatt nicht erfüllen. Sie werden darum in angegliederten Tagesförderstätten beschäftigt. In Anbetracht von diesen rund 350.000 Beschäftigten handelt es sich um eine bedeutende Maßnahme zur Teilhabe im Arbeitsleben. Beschäftigt sind dort zu 75 % Menschen mit geistiger Behinderung, zu 21 % Menschen mit psychischer Behinderung und zu 3 % auch Menschen mit körperlicher Behinderung. Was wird so gearbeitet in einer Werkstatt? Dazu gibt es Erhebungen und demnach sind am häufigsten Montagearbeiten. Danach folgt Verpackung. Also, 38 % Montage, 33 % Verpackung. Weit weniger häufig sind Arbeiten in Küche und Verpflegung, Büro und Versanddienst, Metallbearbeitung, EDV, Gartenpflege, Landschaftsbau oder Holzbearbeitung. Ein wichtiges Ziel von WfbM ist neben der Ausübung einer der Eignung und Neigung des Menschen mit Behinderung entsprechenden Beschäftigung, die Förderung des Übergangs geeigneter Menschen mit Behinderungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen. Das steht in § 58 Absatz 2 SGB 9. Diesem Ziel kommt die WfbM jedoch nur bedingt nach. Die aktuelle Übergangsquote auf den allgemeinen Arbeitsmarkt liegt bei unter 1 %.

Das kritisieren auch die Vereinten Nationen und fordern Deutschland zuletzt im Rahmen der Staatenprüfung zur Umsetzung der Verpflichtungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention auf, in Abstimmung mit Behindertenverbänden einen Aktionsplan zu erstellen, der die Förderung des Übergangs von Behindertenwerkstätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zum Gegenstand haben soll und mit angemessenen finanziellen Mitteln, konkreten Maßnahmen und einem festen Zeithorizont hinterlegt ist. Was noch hinzu kommt, ist, dass Beschäftigte in WfbM unterhalb des Mindestlohns entlohnt werden. Darüber, warum die Werkstätten ihren gesetzlichen Auftrag scheinbar nur teilweise erfüllen und wie Teilhabe am Arbeitsleben besser gelingen kann, kann ich heute mit Stefan Stache sprechen. Er ist politischer Soziologe am Fachgebiet für Sozial- und Gesundheitsrecht, Recht der Rehabilitation und Behinderung an der Uni Kassel und hat in einem Kooperationsprojekt mit der Beauftragten der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderung zwei sehr lesenswerte Broschüren zu Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und den Teilhabe-Erwartungen der Beschäftigten erstellt.

Hallo Stefan, schön, dass du da bist.

STEFAN STACHE. Vielen Dank.

MICHAEL BEYERLEIN. Hallo Stefan. Du schreibst Die Lage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hat sich in der letzten Zeit verbessert in den letzten Jahren. Davon können auch Beschäftigte von WfbM nicht in größerem Maße profitieren. Woran liegt das?

STEFAN STACHE. Ja, bestimmte Gruppen, die fast automatisch in die WfbM übergehen, sind von vornherein dadurch strukturell benachteiligt, dass sie die Förderschule zu 75 % ohne Hauptschulabschluss oder mit einem Förderschulabschluss verlassen. Insbesondere junge Menschen, denen ein sogenannter Förderbedarf geistige Entwicklung attestiert wird, sind, das zeigt das Reha-Prozess-Datenpanel, eine Gruppe, die in der beruflichen Ersteingliederung im Gegensatz zu Gruppen mit anderen Beeinträchtigungen nicht profitieren kann. Zum zweiten haben wir es mit Diskriminierung besonders eben jener Gruppen zu tun, mit kognitiven Beeinträchtigungen oder auch anderen Beeinträchtigungen, die eben auch in WfbM beschäftigt sind. Sie treffen auf Erwartungen an ein normales und auch sicheres Auftreten der Arbeitgeberinnen. Sie treffen auf negative Stereotype. Die Arbeitsmärkte bleiben bislang für diese Gruppen relativ oder nahezu geschlossen, was auch, Du hattest es erwähnt, die geringe Übergangsquote zeigt.

MICHAEL BEYERLEIN. Gerade zum Thema Stereotype, also man hört natürlich eine soziologische Perspektive daraus. Ich habe mich noch gefragt, inwiefern manifestieren sich diese Stereotype denn schon bereits im Übergang? Also welche Rolle spielen denn die Schulen dabei oder oder die Förderschulen dabei, dass Menschen am Ende dann auch in der WfbM landen? Ich habe bei dir auch gelesen, dass es da so etwas wie vorgezeichnete Pfade gibt. Vielleicht kannst du dazu noch ein, zwei Sätze sagen.

STEFAN STACHE. Die Biografien der Förderschüler/innen sind tatsächlich vorstrukturiert, was sich im späteren beruflichen Übergangssystem oder im Übergangssystem der beruflichen Ausbildung und der WfbM im Grunde fortsetzt. Wurde ein Förderbedarf insbesondere geistige Entwicklung attestiert, nimmt die Bundesagentur und auch die dortigen Reha-Beraterinnen, die Bundesagentur der Bundesagentur für Arbeit, darauf Bezug? Und das heißt, Sie stützen sich auch auf frühere Gutachten, auf Diagnostik, die nicht weiter hinterfragt wird sondern zur Verfestigung bisheriger Wahrnehmungs- und Denkmuster beiträgt. Das heißt beispielsweise, wie sich in einer Untersuchung zeigte, die Reha-Berater in der Bundesagentur für Arbeit interviewt hat, dass segregierende Maßnahmen, von denen die WfbM nur eine ist, schon durchaus das Richtige sei. Nach Ansicht der Reha-Beraterinnen für diese Gruppen müsste also sortiert werden, das sei das Beste für sie. Da kommen also strukturelle Benachteiligungen durch fehlende Abschlüsse zu bestimmten institutionellen Verflechtungen, in denen bestimmte benachteiligende Wahrnehmungs- und Denkmuster und Bewertungsschemata herrschen gegenüber Menschen, die behindert werden. Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass die Ressourcen und Bedingungen der Beratung nicht gerade dafür geeignet sind. Und es geht manchmal auch gegen das und häufig gegen das Berufsethos der Beratung auch in anderen Bereichen, die individuelle und auch eine emanzipative Beratung eingrenzen und eben dann auch diese Vorstrukturierung fortschreiben.

MICHAEL BEYERLEIN. Also „Vorstrukturierung“ heißt so das Ergebnis der Beratung – in welche Richtung kann es denn beruflich gehen, das ist in vielen Fällen schon dadurch festgelegt, dass man vielleicht aus der Förderschule kommt, ja?

STEFAN STACHE. Das ist genau gemeint. Hinzu kommt, dass sich im Groben zwei Zweige unterscheiden lassen innerhalb der Praxis der Bundesagentur. Es wird zwischen, im Groben gesagt, Lernbeeinträchtigung und kognitiven Beeinträchtigungen unterschieden. Eine Gruppe, die kognitiv beeinträchtigt als behindert eingestuft wird, die gelten als Rehabilitanden, und die andere Gruppe mit Lernbeeinträchtigungen, Lernschwierigkeiten, grob gesprochen, wird der Benachteiligtenförderung zugeordnet, mit entsprechenden Zweigen, zum Beispiel der Berufsorientierung usw. Es lässt sich nur gar nicht diese ohnehin problematische Trennung in der Praxis schwer auf den Punkt festzurren, so dass wir es immer auch mit Ermessensentscheidungen natürlich, und bestimmten individuellen Wahrnehmungsmustern zu tun haben, auch den Eigenlogiken bestimmter Behördenzweige, nach denen dann entschieden wird. Nicht selten haben wir es auch mit fachfremden Kriterien zu tun, Stichwort Personalressourcen, bestimmte Budgets.

MICHAEL BEYERLEIN. Was bedeutet das konkret, also nach welchen Kriterien wird dann diese Verteilung vorgenommen?

STEFAN STACHE. Nach, so meine These, eigenen Wahrnehmungs- und Denkmustern.

MICHAEL BEYERLEIN. Also, das heißt, je nachdem.

STEFAN STACHE. Eigenen Bauch, aber auch nach der vorherigen Biographie und entsprechenden Akten. Vielleicht werden auch eigene Gutachten eingeholt, die natürlich auch immer nur Momentaufnahmen darstellen. Entscheidend ist, dass diese Logik – man kann auch von einem Pfad sprechen – eine der Benachteiligung beeinträchtigter bzw durch Strukturen behinderter behinderte Menschen ist. Ein Pfad der Sonderinstitution, der segregierten Bildung, der segregierten Ausbildung usw. Stichwort auch das gegliederte Schulwesen, Stichwort aber auch Sondereinrichtungen wie WfbM, aber auch Berufsbildungswerke, in denen nicht inklusiv gelernt und ausgebildet wird, zumindest in Teilen. Es gibt auch Bereiche, die kooperativ ausbilden, in denen der Grad an Inklusion höher ist. Aber generell handelt es sich eher um Sonderinstitutionen.

MICHAEL BEYERLEIN. Jetzt hast du in deinen Veröffentlichungen ja auch geschrieben, es gibt durchaus Alternativen zu einer Beschäftigung in der WfbM, manche mehr, manche weniger inklusiv. Kannst du dazu noch etwas sagen? Was gibt es denn da so als konkrete Alternative und wie bewertest du das?

STEFAN STACHE. Zunächst mal müssen wir unterscheiden zwischen denjenigen, die im Eingangsverfahren Berufsbildungsbereich landen. Das heißt, wir reden darüber, wie inklusiv ausgebildet werden kann. Und zum anderen diejenigen, die vielleicht schon aber auch über eine Ausbildung verfügen und denen trotzdem der Zugang in den ersten Arbeitsmarkt versperrt bleibt. Oder? Nein, die beste Alternative ist die duale Ausbildung, die inklusive duale Regelausbildung, die ja durchaus auch mit dem Budget für Ausbildung unterstützt werden kann, aber in der Praxis kaum zum Tragen kommt. Dieses Instrument wird kaum genutzt. Bei der Nutzung dieses Instruments sind die Fälle verschwindend gering. Ähnliches gilt für das Budget für Arbeit, dass die Werkstatt vermeiden bzw. den Zugang in den ersten regulären Arbeitsmarkt ermöglichen soll. Zu wenig wird diskutiert über Inklusionsbetriebe, und es wird auch zu wenig das Instrument von menschlicher Assistenz und durchgehender Unterstützung ins Feld geführt, die, wie viele Untersuchungen zeigen, eben diesen Übergang aus der WfbM auch in den ersten Arbeitsmarkt stärker ermöglichen könnten und auch erfolgreich sind.

Diese Begleitung und gerade auch die Begleitung am neuen Arbeitsplatz ist ein sehr wesentlicher Faktor, um überhaupt den Übergang ermöglichen zu können. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit völliger Inklusion. Ja. Exklusion und Inklusion, das ist ein Kontinuum, in dem man, innerhalb dessen man reden muss über gute Arbeitsbedingungen auch für alle Menschen, auch ohne Beeinträchtigung. Natürlich gilt, dass man sprechen muss über Selbstbestimmung. Menschen, die eine Beeinträchtigung haben, haben das Recht, selbstbestimmt ebenfalls ihren Arbeitsplatz zu wählen und nicht zugewiesen zu werden. Es überwiegt eine Praxiskultur von Zuweisung statt von selbstbestimmter Wahl. Ja, und dieses Wunsch und Wahlrecht, wie es gesetzlich auch verankert ist, kommt in der Praxis, die WfbM ist nur ein Beispiel, zu wenig zum Tragen. Es gibt typische Berufe, die man auch in Berufsbildungswerken findet, die, natürlich sind die Berufe dort notwendigerweise – das ist jetzt nicht mein Vorwurf, sondern es sind ökonomische Begrenzungen – in deutlich geringerem Maße im Angebot als am freien Ausbildungsmarkt. Man kann dieses Spektrum natürlich gar nicht anbieten. Es gibt dort auch Berufe, die die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung fortsetzen, also hauswirtschaftliche Berufe oder landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Berufe, die man dort stärker findet als in der allgemeinen Erwerbsstruktur.

MICHAEL BEYERLEIN. Ja.

STEFAN STACHE. Wir müssen auch reden darüber, wenn man über Selbstbestimmung reden, wie diese zustande kommt, das heißt, sie ist immer auch Ausdruck milieuspezifischer Erfahrung, aber auch der Möglichkeiten zu Erfahrung.

MICHAEL BEYERLEIN. Ja, und damit kommen wir, glaube ich, also da könnte man jetzt ganz viele Fragen stellen. So als abschließende Frage vielleicht noch – es gab ja diese Entgeltstudie von Engels und weiteren, und die haben auch die Beschäftigten der WfbM befragt, wie zufrieden sind Sie denn mit ihrem Arbeitsplatz? Und fast 90 % der Befragten haben gesagt, Mit der Arbeit in der WfbM bin ich eigentlich zufrieden. Unzufrieden bin ich eher mit der Entlohnung. Wie erklärst du dir das denn?

STEFAN STACHE. Ja, das ist in der Tat etwas, worüber viele in Alltagsdebatten oder in politischen Debatten stolpern, aber was natürlich auch kontrovers ist unter den Werkstattbeschäftigten, oder auch in Gesprächen mit Werkstatträtinnen und Werkstatträten, nämlich was diese zu hohen Zufriedenheitswerte aussagen. Ich denke, dass man sie sehr ernst nehmen muss, man sie aber als einen Indikator neben anderen betrachten sollte. Zufriedenheit ist immer auch vor dem Hintergrund von biografischer Erfahrung zu sehen. Biografische Erfahrungen vollziehen sich aber nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum, sondern es gibt für den einen und für die andere mehr oder weniger Chancen, Berufs- und schulische Erfahrungen zu sammeln. Man darf hierbei nicht vergessen, dass Förderschülerinnen häufig aus sozial nicht-privilegierten Familien stammen, die über wenig berufliche, wenig familiäre Netzwerke verfügen. Ja, das Suchen eines Ausbildungsplatzes fällt ohnehin schon schwer. Und das auszublenden in den Biografieverläufen, die man sich insgesamt ansehen muss, nicht nur punktuell, würde dann den Blick auf diese Werte verkürzen. Das bedeutet auch zu sehen, dass für viele Eltern von beeinträchtigten jungen Menschen der Weg in die WfbM erstmal als einfache – das meine ich jetzt nicht als Vorwurf, sondern als Analyse – erst mal als einfache, vielleicht auch als die einzige Möglichkeit erscheint, als naheliegend erscheint und Alternativen gar nicht gesehen werden, weil auch die entsprechende Beratung fehlt. Also, wenn weniger kulturelle Ressourcen, weniger Alltagsressourcen, ökonomische Ressourcen dann eben auf bestimmte unzureichende oder vorstrukturierte Beratung treffen, dann ist ein gewisser Weg auch vorgezeichnet. Ja, und das bedeutet auch, dass wir in Rechnung stellen müssen, wie auch diese Studie, die du zitiert hast, von Engels und anderen belegt hat, dass ungefähr 1/3 der WfbM-Beschäftigten in den ersten Arbeitsmarkt wechseln wollen oder sich dieses vorstellen. Mit anderen Erfahrungshintergründen oder mit mehr Erfahrungsräumen und Unterstützung könnten die Werte auch anders aussehen. Das bedeutet also auch, dass wir uns anschauen müssen, von was für einer Art von Zufriedenheit wir sprechen. Es ist vielleicht eine ambivalente Zufriedenheit, wie auch qualitative Studien unter anderem von Schreiner gezeigt haben oder von Karim. In Werkstätten ist das eine, die Kritik, eher stärker als die positive Sicht auf den Alltag usw. Ich glaube, dass es im Alltag viel ambivalenter ist als dieser Wert suggeriert. Und durch Erfahrung können sich Auffassungen, Bewertungen verändern und auch berufliche Ziele verändern. Und diese Erfahrungen gilt es zu unterstützen und nicht abhängig zu machen von bisherigen strukturellen Pfaden und auch institutionellen Logiken wie zum Beispiel einer fehlenden Personalressource oder einem fehlenden Vertrauensverhältnis zu Fachkräften, wodurch nämlich diese Möglichkeiten über ein Budget für Arbeit oder über andere Übergangsinstrumente überhaupt eine Chance zu bekommen, zum Ersten Arbeits- und Ausbildungsmarkt versperrt bleiben.

MICHAEL BEYERLEIN. Ja, okay, also abschließend ein Plädoyer für das Wunsch- und Wahlrecht und für das Schaffen von von wirklichen Alternativen und auch eine professionelle Beratung dafür. Ja, vielen lieben Dank Stefan, dass du bei uns im Podcast zu Gast warst.

STEFAN STACHE. Und vor allen Dingen, wenn ich noch einhaken darf für strukturelle Veränderungen im Sinne der Veränderung schulischer Strukturen, der Strukturen auch der Rehabilitation in Richtung mehr Selbstbestimmung und der Strukturen des Denkens und Handelns vor allen Dingen, das verschiebt sich nicht so schnell und nur langsam und dort ist noch einiges an Arbeit zu leisten.

MICHAEL BEYERLEIN. Ja, aber genau den den Weg dahin, den zeigst du auf. Das ist die Perspektive, die finde ich total schön in deinen Veröffentlichungen. Dieser Blick von von oben, dieser soziologische Blick, der ist da echt wertvoll. Genau. Ja, nochmal vielen Dank, dass du hier warst, dass du mit uns gesprochen hast. Danke schön.

STEFAN STACHE. Sehr gerne.

MICHAEL BEYERLEIN. Was kann zum Ende dieser Folge festgehalten werden? Zunächst einmal gibt es im Grundgesetz ein Benachteiligungsverbot für Menschen mit Behinderungen. Das beinhaltet auch die Möglichkeit von Fördermaßnahmen, um bereits vorhandene Benachteiligungen auszugleichen. Da Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt zweifelsohne benachteiligt werden, gibt es Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die auch rege nachgefragt werden. Diese werden unter anderem in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen erbracht. Die Leistungen dort sind unter anderem darauf gerichtet, den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern. Das klappt aber nur sehr eingeschränkt, wie die Statistik zeigt. Der Weg in die Wfbm scheint vielfach biografisch vorgezeichnet. Soziologische Studien deuten darauf hin, dass es festgetretene Pfade gibt, die häufig von der Förderschule direkt in die Wfbm führen. Die Beratung und Verwaltungspraxis bei Leistungsträgern wie der Bundesagentur für Arbeit scheint dabei bestehende Alternativen noch nicht hinreichend im Blick zu haben. Und auch das ist ein Beispiel für Barrieren in Köpfen. Die beste Alternative zu einer Wfbm sieht Stefan Stache in einer inklusiven Öffnung der dualen Ausbildung. Unterstützende Instrumente wie beispielsweise das Budget für Ausbildung, werden aber zu wenig genutzt. Auch Unterstützung und Begleitung durch zum Beispiel Jobcoaching kann Übergänge ermöglichen. Wichtig ist, dass eine Auswahl besteht, ob Leistungen zur Teilhabe in einer WfbM oder über ein Budget auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erbracht werden und Leistungsberechtigte nicht automatisch zugewiesen werden. So können Erfahrungen gesammelt werden, die eine Wahl des Arbeitsplatzes, sei es in einer WfbM oder außerhalb, erst ermöglichen. Damit sich langfristig etwas verändert, müssen aber vor allem Barrieren in den Köpfen abgebaut werden, die Biografien strukturieren. Ich verabschiede mich damit und sage Tschüss, bis zum nächsten Mal bei Recht auf Teilhabe.