Folge 8: Wie erleben Menschen mit Behinderung ihre Teilhabeplanung?

Shownotes

Auch in dieser Folge interviewt Marianna Kussler die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Dr. Tonia Rambausek-Haß und Lea Mattern von der Humboldt-Universität zu Berlin. Diesmal stellen sie in einfacher Sprache die Ergebnisse ihrer Studie zur Beteiligung von Menschen mit Behinderungen bei ihrer Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung vor. Die Studie wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Gudrun Wansing durchgeführt. Es geht darum, wie Menschen mit Behinderungen ihre eigene Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung erleben, welche Erfahrungen sie machen, welche Rahmenbedingungen für eine individuelle Teilhabeplanung nötig sind und welche Rechte und Pflichten Menschen mit Behinderungen haben. Um zu erfahren, was eine Teilhabeplanung ist und welche Rechte und Pflichten Menschen mit Behinderungen haben, können Sie Folge 7: Was ist eine Teilhabeplanung? hören. In der nächsten Folge (Nr. 9) berichten zwei Menschen mit Behinderungen von ihrer Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung.

Das Projekt ZIP – NaTAR Diese Podcastfolge ist im Projekt „Zugänglichkeit – Inklusion – Partizipation. Nachhaltige Teilhabe an Arbeit durch Recht“ (ZIP – NaTAR) der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation e. V. (DVfR) und ihrer Kooperationspartner entstanden – gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln des Ausgleichsfonds.

Weitere Informationen über das Projekt ZIP – NaTAR

Weitere Informationen zum HU-Team

Weitere Informationen

Webseite der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) zum gesamten Prozess der Rehabilitation

Gemeinsame Empfehlungen der BAR (alle Reha-Träger) zum Prozess der Rehabilitation

Angebote Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB)

Welcher Reha-Träger ist zuständig? Zuständigkeitsnavigator

Teilhabeverfahrensbericht

Fachbeitrag zur Partizipation in der Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung:

Mattern, Peters, Rambausek-Haß: Zur Umsetzung der Partizipation in der Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung – Forschungsstand; Beitrag D5-2023 unter www.reha-recht.de; 25.04.2023

Fachbeitrag zum Budget für Ausbildung:

Mattern, Rambausek-Haß: Zwei Jahre Budget für Ausbildung – Was wir wissen und was nicht; Beitrag D9-2022 unter www.reha-recht.de; 10.05.2022

Betanet/ Widerspruch im Sozialrecht

Video zum Vortrag beim Stammtisch. Forschung. Leicht.: Mit-bestimmen bei der Teilhabe-Planung

Transkript anzeigen

MARCO. Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge vom Podcast Recht auf Teilhabe, der Podcast rund um Inklusion, Reha und Teilhabe.

MARIANNA. Herzlich willkommen zu einer neuen Podcast Folge von „Recht auf Teilhabe“. Die heutige Folge ist eine Fortsetzung vom letzten Mal und heißt „Wie erleben Menschen mit Behinderung ihre Teilhabeplanung?“. Falls ihr die letzte Folge nicht gehört habt, stellen wir uns noch einmal kurz vor. Mein Name ist Marianna Kussler. Ich bin studentische Hilfskraft an der Humboldt-Universität zu Berlin.

TONIA. Hallo, ich bin Tonia Rambausek-Haß und arbeite mit Lea Mattern zusammen im Projekt „Zugänglichkeit – Inklusion – Partizipation. Nachhaltige Teilhabe an Arbeit durch Recht“. Die Webseite haben wir euch auch in den Shownotes hinterlegt. Also, das sind die Informationen, die ihr unter der Folge findet und den Text, den wir hier sagen oder was wir hier sprechen, könnt ihr auch nochmal nachlesen.

LEA. Ja, und ich bin Lea Mattern, und Tonia und ich und auch Marianna, wir forschen unter anderem zur Teilhabeplanung, und darum geht es ja auch heute in diesem Podcast.

MARIANNA. Vielen Dank für die Vorstellung. Ich erzähle nochmal kurz, was wir bei der letzten Folge gemacht haben und worüber Lea, Tonia und ich auch überhaupt gesprochen haben. Wir haben einmal besprochen, was eine Teilhabeplanung und eine Bedarfsermittlung ist. Dann haben wir erfahren, dass die Ämter nach der Antragsstellung zwei Wochen Zeit haben, um zu prüfen, wer für die beantragte Leistung zuständig ist und, dass danach der Bedarf gemeinsam mit den Menschen mit Behinderungen ermittelt werden soll. Im Anschluss dazu findet eine Teilhabeplanung statt, um die Leistungen aufeinander abzustimmen und das Amt trifft eine Entscheidung über die beantragten Leistungen. Beim letzten Mal haben wir euch versprochen, dass Tonia und Lea euch die Ergebnisse ihrer Studie zum „Erleben der Beteiligung von Menschen mit Behinderungen bei der Teilhabeplanung“ präsentieren. Könnt ihr beide nochmal kurz wiederholen, wen und wie viele Menschen mit Behinderung ihr bei eurer Studie interviewt habt?

LEA. Ja, gern. Also, wir haben ausschließlich Menschen mit Behinderungen interviewt. Nur in einem Fall gab es eine Betreuerin, die auch beim Interview anwesend war und die Person unterstützt hat. Außerdem haben wir noch ein Gruppeninterview mit sechs weiteren Menschen mit Behinderungen geführt und wir haben auch fünf Einzelinterviews mit Menschen mit Behinderungen durchgeführt.

MARIANNA.Und wie erleben denn die Menschen mit Behinderung, die ihr gefragt habt, ihre Teilhabeplanung?

TONIA. Es gibt ganz unterschiedliche Erfahrungen, negative und positive. Negative Erfahrungen sind zum Beispiel, dass sie sich überfordert fühlen können, dass sie Übergriffigkeit erlebt haben, Bevormundung, existenzielle Sorgen oder Ängste. Sie haben das Gefühl gehabt, Bittsteller zu sein oder ihren Bedarf rechtfertigen zu müssen oder auch zur Offenbarung ihres Lebens gezwungen zu sein, also dass sie viel über ihr Leben preisgeben sollen. Ein Beispiel für die Überforderung war zum Beispiel, dass jemand von seiner Teilhabeplankonferenz berichtet hat und das so empfunden hat, dass hier sehr viele fremde Menschen anwesend waren, die er nicht kannte und die alle gleichzeitig gefühlt auf ihn eingeredet haben. Und davon hat er sich überfordert gefühlt. Oder es kann auch eine Überforderung sein, die Leistungen selbst beantragen zu müssen, wenn man zum Beispiel eine psychische Beeinträchtigung hat und ja in dem Fall auch Fristen wahren muss, wenn es einem vielleicht gerade gesundheitlich nicht so gut geht. Dann gab es ein Beispiel, wo jemand Übergriffigkeit erlebt hat, also derjenige hat eine körperliche Beeinträchtigung und wollte einen besonderen Bürostuhl als Arbeitsplatzausstattung beantragen. Und der Arbeitgeber hat dann aber einen Rollstuhl für ihn beantragt, damit er bei Außenterminen, ja, in seinen Worten nicht das ganze Team aufhält. Das empfand der Mensch mit Behinderung zu Recht als übergriffig. Oder eine andere Person hat erlebt, dass bei einem Termin in seiner eigenen Wohnung seine Ernährungsweise kommentiert wurde. Dann gab es eine Person, die mit existenziellen Sorgen zu kämpfen hat, weil sie in verschiedene Rechtsstreitigkeiten mit den Leistungsträgern verwickelt ist, und das erschwert eben den Zugang zur Teilhabeplanung und zu Teilhabeleistungen. Auf der anderen Seite gibt es auch positive Erfahrungen, zum Beispiel, dass sich jemand einbezogen fühlt in die Teilhabeplanung, in dem zum Beispiel ein direkter Kontakt zum Leistungsträger möglich ist, zum Beispiel zum Integrationsamt oder dass es eben positiv hervorgehoben wird, wenn Leistungen selbst beantragt werden können und nicht nur die Vorschläge von anderen Personen diskutiert werden müssen, wo man sich auch wieder rechtfertigen muss. Also es kann sein, dass eben hier der Anspruch und die Wirklichkeit nicht so richtig zusammenpassen, also der Anspruch ist, dass mehr Selbstbestimmung ermöglicht wird und das kann aber eben auch für manche manchmal eine Überforderung darstellen.

MARIANNA. Vielen Dank, Tonia. Welchen Einfluss haben diese Erfahrungen auf die Einstellung von den Befragten überhaupt zu dieser Teilhabeplanung und Bedarfsermittlung?

LEA. Ja, wenn im Vorfeld nicht wirklich klar kommuniziert wird, worum es eigentlich in den Gesprächen mit dem Amt geht und wer aus welchem Grund auch teilnimmt, darauf hat Tonia gerade auch schon verwiesen in dem einen Fall, wo so viele Personen auch anwesend waren, die eben nicht bekannt waren. Und so entsteht ein sogenanntes Machtgefälle, also wo Menschen mit Behinderungen eben nicht wissen, was und wer sie überhaupt erwartet bei diesem Gespräch. Und manchmal gibt es auch negative Erfahrungen, wenn sie zum Beispiel das Gefühl bekommen, dass ihnen nicht zugehört wird oder auch, dass sie nicht ernst genommen werden. Und das führt möglicherweise dazu, dass sie entmutigt sind und nicht mehr wirklich viel Motivation haben, persönlich an der Teilhabeplanung mitzuwirken. Und wichtig ist den Befragten auch, dass sie als Expertin oder Experte des eigenen Bedarfs anerkannt werden und auch respektiert werden. Und sie wünschen sich auch eine Teilhabeplanung auf Augenhöhe. Und ganz notwendig dafür ist, sagen die Interviewteilnehmer*innen, dass die Teilhabeplaner*innen, also die Personen, die sie durchführen, die Teilhabeplanung, dass sie dahingehend auch ausgebildet werden und auch sensibilisiert werden für diese Herausforderungen.

MARIANNA. Vielen Dank, Lea. Welche Bedingungen und Voraussetzungen bräuchten Menschen mit Behinderung aus ihrer Sicht in der Studie denn für eine individuelle Teilhabeplanung?

TONIA. Ja, es ist deutlich geworden, dass Teilhabeplanung eine gute Vorbereitung erfordert, auch bei den Menschen mit Behinderungen. Also, es ist wichtig für sie zu wissen, welche Leistungen gibt es überhaupt, dass sie über Leistungen informiert werden und sich auch informieren können. Hier spielt auch die Barrierefreiheit eine Rolle. Für Menschen mit nicht-sichtbaren Behinderungen ist es manchmal schwierig, den eigenen Bedarf zu kennen oder auch zu erkennen. Das dauert seine Zeit. Es braucht einfach seine Zeit, bis man diesen Bedarf dann auch dem Leistungsträger gegenüber erklärt hat, wenn er nicht ganz offensichtlich oder einfach zu verstehen ist.

MARIANNA. Gibt es noch weitere wichtige Rahmenbedingungen und Voraussetzungen aus Sicht der Befragten?

TONIA. Ja, ich habe ja eben schon gesagt, die Barrierefreiheit spielt eine Rolle. Also, das betrifft zum Beispiel die Kommunikation, dass die barrierefrei sein muss, dass die Gebäude gut erreichbar und zugänglich sind. Und es wurde zum Beispiel auch kritisiert, dass Dokumente nicht digital versendet werden können, was zum Beispiel für Menschen mit Sehbeeinträchtigung eine Rolle spielt. Und wenn eben die Barrierefreiheit nicht gegeben ist, dann sind die Menschen wieder abhängig von Unterstützer*innen. Und das kann auch die Prozesse eben in die Länge ziehen und verzögern.

LEA. Ja, und den Befragten ist es auch wichtig, dass relevante Ämter bei der Teilhabeplanung dabei sind, also relevant für sie und auch für die jeweilige beantragte Leistung. Denn nur dann können die Bedarfe auch wirklich geklärt und auch erklärt werden und damit auch verständlich gemacht werden dem jeweiligen Leistungsträger bzw. Amt. Wenn wichtige Ämter nicht dabei sind, dann wirkt sich das negativ auf die Motivation aus, an der eigenen Teilhabeplanung mitzuwirken.

MARIANNA. Tonia, es klang gerade so heraus, dass du meintest, dass die Befragten es wichtig finden, informiert zu sein. Wer ist denn dafür zuständig?

TONIA. Ja, die Leistungsträger sind dafür zuständig, die Leistungsberechtigten zu informieren – im Vorfeld und auch bei der Teilhabeplanung selbst. Es gibt zum Beispiel einen Zusammenschluss der verschiedenen Leistungsträger, also der Rehabilitationsträger, das nennt sich Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, BAR. Und da gibt es einen sogenannten Zuständigkeitsnavigator; da kann man nachschauen, welcher Träger oder welches Amt für welche Leistung zuständig ist und wo ich meinen Antrag stellen kann. Und da gibt es auch Informationen zum Ablauf der Teilhabeplanung. Den Link dazu stellen wir auch in die Show-Notes. Einige Menschen in der Studie fühlen sich nicht gut informiert – das haben wir ja schon gesagt – oder gut beraten. Das führt eben auch dazu, dass Begriffe und Abläufe nicht bekannt sind oder dass sie auch ihre Rechte und Pflichten nicht kennen.

Und eine gute Beratungsstelle ist da zum Beispiel die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung und diese Teilhabeberatungsstellen haben wir auch in den Shownotes verlinkt.

MARIANNA. Tonia, du hast eben Rechte und Pflichten erwähnt. Ich würde die gerne nochmal aufgreifen. Was gehört denn zu diesen Rechten und Pflichten noch dazu für Menschen mit Behinderungen im Rahmen der Teilhabeplanung und Bedarfsmittlung?

TONIA. Ja, zu den Pflichten gehört zum Beispiel die Mitwirkungspflicht. Das bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen Unterlagen einreichen müssen, wie zum Beispiel ärztliche Befunde, Gutachten – oder auch Kontoauszüge, wenn es darum geht, wie viel Geld sie zur Verfügung haben, welches Einkommen sie haben, damit das Amt eben auch über die Leistungen entscheiden kann. Das kann Menschen mit Behinderungen auch schwerfallen, diese Unterlagen einzureichen, also überhaupt zusammenzusuchen oder auch zu wissen, welche Unterlagen jetzt die richtigen sind. Und da kann es eben auch sein, dass sie Unterstützung benötigen.

Bei der umfassenden Bedarfsermittlung ist es eben so, dass es auch eine Kehrseite haben kann. Das habe ich vorhin schon kurz angesprochen, dass eben auch teilweise intime Einzelheiten besprochen werden. Und das empfinden manche Menschen in der Studie eben als sogenannten Zwang zur Offenbarung, also dass sie gezwungen sind, sich zu offenbaren, ihr Leben auszubreiten vor fremden Menschen und auch über Dinge zu sprechen, über die sie vielleicht nicht mit fremden Menschen sprechen wollen. Und das müssen sie aber tun, weil sie eben sonst keine Leistungen bekommen.

MARIANNA. Vielen Dank, Tonia. Ich würde noch mal gerne nachfragen, welche Rechte haben denn Menschen mit Behinderung?

LEA. Ja, zu den Rechten gehört, neben dem Recht darauf informiert zu werden, auch dass Menschen mit Behinderungen jederzeit Personen des Vertrauens in alle Prozesse der Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung mit einbinden. Das heißt also, wer sind solche Personen des Vertrauens? Das können zum Beispiel Interessenvertreter bzw. -vertreterinnen sein, oder auch Familienangehörige oder auch Freunde, Freundinnen. Und wenn man so eine Person nicht kennt oder nicht hat, dann müssen die Ämter auch dafür Sorge tragen, dass Menschen mit Behinderungen bei der Teilhabeplanung und Bedarfsermittlung jemanden haben, die bzw. der sie berät und unterstützt und begleitet in diesem gesamten Prozess.

TONIA. Ja, dann sind wir auch schon am Ende angekommen von der Folge. Wir haben gelernt, dass Menschen mit Behinderungen ein Recht auf eine umfassende und individuelle Bedarfsermittlung haben und auch auf eine zügige Bearbeitung ihres Antrags. Sie haben ein Recht auf Beteiligung und Mitwirkung und können sich bei Bedarf auch beraten lassen oder Unterstützung holen. Unterstützung kann vor allem sinnvoll sein, weil die Mitwirkung an der Teilhabeplanung auch manchmal eine Herausforderung sein kann.

Unterstützung bietet sich auch an, wenn man zum Beispiel in der Vergangenheit negative Erfahrungen gemacht hat. Menschen mit Behinderungen haben eine Pflicht, wie wir gelernt haben, an der Bedarfsermittlung mitzuwirken, indem sie beispielsweise Auskunft geben oder auch Unterlagen einreichen. Bei dieser Mitwirkungspflicht kann ebenfalls eine Unterstützung hilfreich sein. Auch die Leistungsträger sind in der Pflicht, Menschen mit Behinderungen vor und auch bei der Teilhabeplanung zu beraten und zu unterstützen.

Ja, wir hoffen, dass wir euch hier ein paar wichtige Informationen zur Teilhabeplanung geben konnten, und hört gern auch die Folge „Komm raus aus deinem Schneckenhaus“, in der unsere Referenzgruppe von ihren Erfahrungen mit der Teilhabeplanung erzählt.

MARCO. Das war unser Podcast „Recht auf Teilhabe“. Der Podcast rund um Inklusion, Reha und Teilhabe. Unseren Podcast finden Sie auf unserer Projektwebseite www.reha-recht.de und überall, wo es Podcasts gibt.